Ihr Auftritt, bitte!
Es gibt sie, doch, irgendwo, die Vierte-Welle-Lockdown-Ernstnehmer. Menschen, die nicht so tun, als wäre eh alles wie immer, nur halt mit Hinterzimmershopping und selbstgebrautem Punsch für die Adventjausenmeute . Es gibt sie zum Beispiel an den Unis, wo wieder weitgehend Homestudying herrscht. Die Tochter sitzt also virtuell in einer TU-Lerngruppe (analog in meinem Arbeitszimmer) und „braucht“ plötzlich „dringend die Daria“. Ein Studienkollege weiß, dass sie „die mit dem KURIER-Hund“ ist und will Daria sehen. Auftritt Daria. Sie hasst meine Zoom-Konferenzen und verweigert stets die Teilnahme, weil es sie verwirrt, wenn bekannte Stimmen im Raum sind, die dazugehörigen Körper und Gerüche jedoch fehlen. Für die Tochter tut sie’s. Artig dackelt sie zur Kamera und winkt den downgelockten Mathematikerinnen und Mathematikern zu. Dafür kriegt sie eine Belohnung – und war jetzt auch auf der Uni. Für eine Belohnung komme sie jederzeit gern vorbei, sagt sie zur Tochter - und legt sich wieder auf die Wohnzimmercouch. Wenn das so weitergeht, erklärt Daria mir ab der fünften Welle Analysis für Fortgeschrittene und ab der sechsten dann die Partiellen Differenzialgleichungen.
Auftritt 2: Daria wartet kurz auf mich vor dem kleinen Supermarkt, ich steh’ an der Kassa hinter einem jungen Mann mit Doppelkapuze, leerem Blick und auffälligem Miniatur(en)einkauf. Die Kassierin schaut ihn mitfühlend an: „Wie geht’s?“ Er: „Naja, schwierige Zeit.“ Sie: „Alles wird gut.“ Er: „Hm ...“ Sie (ruft ihm nach): „Alles wird gut! Ich weiß es!“ Ich schlucke, weil mir die Tränen kommen, angesichts dieser überarbeiteten Frau, die innerlich nicht zu macht, sondern so viel Gespür für andere hat. Als ich rauskomme, kann ich die Rührung nicht mehr runterschlucken. Ich sehe den jungen Mann im Zwiegespräch mit Daria. Er bemerkt, dass ich zu ihr gehöre, und geht. Keine Ahnung, was sie ihm gesagt hat, aber ich bilde mir ein, unterhalb der Kapuzen den Anflug eines Lächelns gesehen zu haben.
Auftritt 3: Auf der morgendlichen Lockdownrunde rennt uns ein unangeleinter schwarzer Schnauzer entgegen, dahinter ein ebenso unangeleinter weißer Mann. Daria begrüßt fröhlich den Schnauzer, ich grantig den Mann, der sonst immer mit einem semmelfarbenen Retriever unterwegs ist. „Gehört der zu ihnen?“, rufe ich ihm barsch zu. „Ja“, ruft er fröhlich zurück, „ihrer ist aber auch ein Netter!“ Wieso erklärt der mir nicht, woher der neue Hund kommt, frage ich mich. Und weiß die Antwort, als er näher kommt: Der Mann schaut dem mit dem semmelblonden Hund zwar ähnlich, ist es aber nicht. „Tut mir leid, ich hab’ sie verwechselt“, stammle ich, „sollte wohl nicht ohne Brille rausgehen“. Da lacht er: „Sollten sie schon! Steht ihnen gut, auch die Verwechslung. Schönen Tag noch!“
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