Grasen statt Rasen 

Grasen statt Rasen 
Daria schnuppert und liest Spuren, während sie von drei Schnecken überholt wird. Ich mache einstweilen einen Stehspaziergang
Birgit Braunrath

Birgit Braunrath

Manchmal beuge ich mich beim Gehen hinunter, um zu prüfen, ob Daria noch atmet. Sie bewegt sich in der Stadt so langsam vorwärts, dass selbst der Begriff Zeitlupe nur eine Art Zeitraffer der Wirklichkeit darstellt. Was Daria im Wald an Tempo vorlegt, lässt sie beim Anmarsch zum Wald, der bloß durch drei Gassen führt, locker liegen.

„Nimm dir Zeit!“, hat mir unlängst wieder einer dieser Vollblut-Beagleversteher-Hundetrainer erklärt und ergänzt: „Ein Beagle muss riechen, Spuren lesen, schnüffeln, dafür ist er gezüchtet.“

Ich nickte zutraulich, obwohl dem Beagle alles zuzutrauen ist. Auch dass er so lang am Maibaum „riecht, Spuren liest, schnüffelt ...“, bis der Juni und mit ihm der Abholtraktor kommt. Aber das sagte ich dem Hundetrainer nicht. Ich wollte dem Profi das gute Gefühl geben, dass er mir etwas Neues verraten habe.

Ich soll mir also „Zeit nehmen“? Bin ich nicht ohnehin diejenige, die sich mehr Zeit nimmt, als jede normale Uhr hat? Darias Lieblingsmann zum Beispiel, der alles am besten weiß, wenn es um den Hund aller Hunde geht, drückt mir regelmäßig die Leine samt daran befestigter Daria in die Hand, wenn wir gemeinsam durch die Stadt gehen. Nicht, weil er mir generös vermitteln will, dass er mir das zutraut, sondern weil er seinen Nerven Darias Getrödel nicht zutraut.

„Stationäre Spaziergänge“

Dabei handelt es sich gar nicht um Getrödel, sondern um aktive Feldforschung. In einer Stunde kommen wir acht bis zehn Hausnummern weiter und Daria weiß danach auswendig, wer wann auf welchen Grashalm neben dem Gehsteig gepinkelt hat. Das ist wichtig. Zumindest für sie. Gestern habe ich zum ersten Mal den perfekten Ausdruck dafür gelesen: „Stationäre Spaziergänge“ – was so viel heißt, wie, ich stehe mir die Beine in den Bauch, während Daria im Grünstreifen grast und sich dabei von drei Schnecken überholen lässt.

Den Begriff „stationäre Spaziergänge“ fand ich in einem Ratgeber-Posting für Hundehalter bei Hitze: „Drosseln Sie das Tempo und gehen Sie nur kurze Strecken. Lieber mehr schauen und schnüffeln (stationäre Spaziergänge)!“

Seither grüble ich, wie ich Darias Tempo angesichts der Hitze drosseln könnte. Kann man langsamer stehen, als man sonst steht? Oder fällt man dann um?

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