Das Fass

"ÜberLeben": Die Trennung von einem langjährigen Begleiter.
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Ich habe jetzt das Fass entsorgt, und das stimmt mich traurig.

Das Fass hatte mich seit den Neunzigerjahren begleitet, bei jeder Übersiedlung habe ich es mitgenommen, was gar nicht so leicht war – das Fass war ziemlich schwer. Meine Freunde, die mir bei jedem Umzug geduldig geholfen haben, wurden angesichts des Fasses jedes Mal mürrischer.

Mein damaliger Schwiegervater hat mir das Fass geschenkt, 25 Jahre muss das jetzt her sein.  Ich wollte damals unbedingt ein Fass haben. Es war die Zeit, als jede Wohnung plötzlich eine offene Küche hatte, mit einer „Bar“ als Abtrennung, an der nie jemand sitzen wollte, weil es unbequem war, aber Hauptsache, man hatte zwei vom Sperrmüll gerettete, beinahe wertvolle Barhocker davor stehen. Niemals haben wir auf unserer Bar Getränke serviert, sie war immer nur Ablagefläche für Zimmerpflanzen, Zeitungen, ausgezogene Socken ...

Und aus allen Wohnzimmerböden wuchsen damals die Fässer. Meist stellte man dekorativ eine Flasche Wein und zwei Riedelgläser drauf. Das Fass, anzutreffen vor allem in Haushalten von Menschen Ende 20, war in Wahrheit ein  Ausweis für Frühvergreisung und gleichzeitig Sehrspätpubertät. Es hieß: Ich trinke gerne Alkohol, aber kultiviert, also ich sage nach jedem Schluck Sachen wie „Ried Odysseus Fuchsenthal“ oder „Brombeernase“ oder „In Eiche ausgebaut“. (Bei mir war das besonders unsinnig, denn ich kenne nur drei Weinsorten: Rot/Weiß/bitte lieber ein Bier.) Das Fass hieß in Wahrheit: Ich bin kein Spießer, aber ich arbeite daran.

Jetzt beschloss ich, dass ich zu alt bin, um noch ein Spießer zu werden, und brachte das Fass zum Sperrmüll. Dort sah ein junges Ehepaar das Fass, sagte „Oh, wie schön, das würde gut in unser Wohnzimmer passen, neben die Bar“, ich sagte „Es gehört Ihnen, viel Freude damit“, und jetzt bin ich beruhigt, denn ich weiß: Das Fass hat ein gutes neues Zuhause gefunden.

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