Hey, wir leben noch! Über das Älterwerden als große Gerechtigkeit
Die wenigsten Menschen sind vorsätzlich ungut. Unpassende, flapsige, selbst übergriffige Kommentare sind selten ein Akt bewusster Boshaftigkeit, sondern Unwissenheit, ein Hirn im Hangover-Modus oder Unsicherheit.
Unlängst zeigte sich die Sex and the City-Ikone Sarah Jessica Parker mit ihrer Naturhaarfarbe – grau, sie ist 59 Jahre. Die Kommentare in sozialen Medien reichten von unterirdischen Beleidigungen bis hin zu Jubelgesängen: Wow, was die sich traut! Mutig! So gewagt!
Neben ihr auf dem Foto: Ein zwei Jahre jüngerer Mann, ebenfalls mit grauen Haaren. Kommentare dazu: keine.
In diese Schiene passt folgende Aussage: Eine Frau nennt, gefragt oder aus einer Situation heraus, ihr Alter. Die Reaktion: „Sieht man gar nicht, du schaust ja viel jünger aus!“. Das ist freundlich gemeint.
Dürfen wir nicht so alt aussehen, wie wir sind?
Aber warum soll es ein Kompliment sein, jünger auszusehen als man ist? Darf ich nicht ausschauen wie ehrliche 42? Was ist verkehrt daran? Jedes unserer Jahre ist (hart) erarbeitet, wir haben uns reingehängt in dieses Abenteuer Leben.
Dieser Druck, ewig jung bleiben zu müssen, ist belastend. Er packt uns alle beizeiten fest im Genick.
Kürzlich beobachtete mich unsere älteste Tochter, 12, als ich meinem Morgengesicht im Spiegel missmutig die Zunge zeigte. Sie sagte: „Mama, ich finde, du siehst sehr schön aus.“ Meine Antwort: „Ich sehe alt und müde aus.“ Statt eine liebenswürdige Bemerkung annehmen zu können, meldete ich ihr rück, dass alt und müde zwei schlechte Zustände sind. Sehr uncool von mir, die Ewig-Jung-Falle hatte zugeschnappt.
Hey, wir leben noch!
Altern ist eine der wenigen Gerechtigkeiten im Leben, es ist ein Prozess, der uns alle ereilt. Die Alternative dazu ist relativ unattraktiv: Sterben. Damit lassen wir uns aber alle noch ganz viel Zeit, okay?
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