Chaos de Luxe: Ein We-care-Paket

Über den Luxus eines Freundes-Rudels
Polly Adler

Polly Adler

Vergangene Woche habe ich an dieser Stelle Melancholie-Exhibitionismus betrieben, weil mich die Abreise des Fortpflanzes in den Blues gefetzt hat. Ich hatte das Kind in diesem entsetzlichen Jahr 2020 gerade einmal zehn Tage gesehen. Ich wollte einfach nicht mehr tapfer sein und gab mir grünes Licht, im Heulmodus und in Loungewear (so der neu-normale Ausdruck für Pyjama) sowie der extrakitschigen Netflix-Serie „Bridgerton“ zu versinken. Jedes Mal, wenn dort ein Count seiner Beziehungsparanoia einen Abschiedskuss auf die Stirn drückte und eine Häubchen-Trägerin aus dem Elend des Heiratsmarkts befreite, öffnete sich bei mir

ein neues Tal der Tränen. Das Telefon hatte seither nicht aufgehört zu klingeln, Trostparolen schwirrten durch den Draht. „Komm zu uns“, „Lass uns spazieren gehen!“, „Darf ich dir einen Apfelkuchen bringen?“, „Mir geht es genau so, ich bin am Limit“, „Antidepressiva oder Champagner?“, „Du solltest dir dringend einen Hund zulegen!“ Alles in allem: ein herzerwärmendes We-care-Paket. Meine Lieblingsschriftstellerin Dorothy Parker hätte mir nur zugekläfft: „Trink’n Schluck und reiß dich am Riemen!“ Ich bin dem Himmel sei Dank ein ausschließlich sozialer Trinker. Unbetreutes Trinken – sprich ohne Pointen-Pingpong, Lachsalven oder heftigen Diskussionen zu existenziellen Fragen, ob Gott Humor hat oder Rudi Anschober sich die Haare färbt, und mein Café Engländer – finde ich deprimierend. Der wunderbare Lernprozess der vergangenen Woche: Ich verfüge über den Luxus eines Rudels von Freunden und somit über ein Bollwerk von Empathie. Es fühlt sich gerade so an, als ob man bei der Mathematik-Matura (die ich um einen Punkt geschafft habe) nur noch das letzte Beispiel lösen muss. Und dann werden wir Worte wie Cluster, Superspreader, K1, FP2-Maske, Antigen aus unserem Wortschatz verbannen. Und ein Hotspot ist dann nur mehr der Ort, wo wir uns alle wieder in die Arme fallen. Versprochen! Engländer, mach’ dich bereit!

www.pollyadler.at

polly.adler@kurier.at

Kommentare