Chaos de Luxe: Das neue D-Gefühl

Die Demut kam mit den Krautfleckerln serviert.
Polly Adler

Polly Adler

Eigentlich kann ich das Wort Demut nicht leiden. Es riecht nach so einem spießig-frömmelnden Mief, aber das Gefühl macht sich breit. Nicht nur in mir, auch bei vielen anderen. Trotz hohen Zermürbungsgraden.

F, die an Instagramitis leidet und unter jedem geposteten Ich-im-Einklang-mit-Mutter-Natur-Bild ein #soblessed setzt, sagte mit leichtem Tremolo: „Bist denn du deppert, was wird man jetzt nicht dankbar für Dinge, für die man früher nicht einmal eine Augenbraue gehoben hat.“ Neulich ist sie fast in Tränen ausgebrochen, als sie zu einem Zwei-Personen-Haushalt-Dinner bei einem Nachbar-Pärchen geladen war. Bislang hatte man sich am Gang immer nur zugenickt.

Es gab kein Tralala-Essen, sondern herrlich ehrliche Krautfleckerln. Und Offenheit zum Schnaps. Die Dame des Hauses sprach von ihren dunklen Zuständen und F, die nahezu jeden Psychotherapeuten in dieser Stadt ausgecheckt hat (eine Art Hobbymanie), versprach zu helfen. Der Mann hatte seit Monaten keinen Kellner-Job. Ohne die Pandemie-Ausnahme hätte sie vielleicht aus falscher Scham „ihre Tiefs vergraben“. „Du redest mit eigentlich nahezu fremden Menschen über intime Dinge“, sagte F, „vielleicht ist diese f** C-Zeit auch ein großer Crashkurs an Empathie und ein bisschen Demut für uns alle.“

Der grassierende Impfneid und die selbst ernannten Vakzin-VIPS bringen zwar wieder allzu Menschliches zum Tragen, aber ansonsten hat das Leben im Abstandsuniversum auch Schönes entstehen lassen. Ich habe zu jenen Menschen, die mir ohnehin nahe waren, eine noch größere Nähe entwickelt. Die Fassaden-Turnerei hat bei vielen abgenommen. Und ich habe trotz Verlusten, Stress und Ängsten gelernt, wieder mit den Selbstverständlichkeiten zu schmusen. Bist denn du deppert, das fühlt sich eigentlich ziemlich gut an. Hat hoffentlich kein Ablaufdatum, dieses D-Gefühl.

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