Chaos de luxe: Achtung, Baby!
Wenn man sich morgens so abgeräumt im Spiegel betrachtet, muss man an den Satz des Rabiatdramatikers Heiner Müller denken, der sich bei solcher Gelegenheit Folgendes zukläffte: „Kenn ich nicht, wasch ich nicht.“ Ganz so weit ist man noch nicht. Schließlich ist dieser Mann mit einer Zigarre im Mund zur Welt gekommen, hielt Whiskey für einen isotonischen Durstlöscher und sah deswegen schon Mitte 30 aus, als ob ihm ein Traktor unter intensivem Einsatz von Vor- und Rückwärtsgang mehrfach täglich über die Gesichtszüge gerattert wäre.
Doch – Achtung, Baby! – die Grenzen zwischen „nicht mehr ganz so jung“, „etwas älter“ und „doch schon an die ...“ sind aufgehoben. Es gibt grandiose Frauen, die dem Alter insofern zuzwinkern, als dass sie es nicht mit militantem Ehrgeiz zu verbergen suchen. Die von mir sehr verehrte Erika Pluhar ist so eine; Katharine Hepburn und Jeanne Moreau fielen in diese Gattung.
Diese Form der Nonchalance lässt sie jünger wirken als viele 48-plus-Repräsentantinnen, die zu drastischen Verfremdungseffekten greifen. „Ein einziges Gesicht! An so vielen verschiedenen Frauen!“ denkt man angesichts all dieser Konterfeis, aus denen das Leben so sorgfältig rausgebügelt worden ist. Madonna wollte ihn sicher nicht, diesen Mitleidseffekt, der einen überflutet, wenn man ihren Instagram-Account besucht.
Wobei in den digitalisierten Bilderhalden die Versuchungen in vielen Facetten lauern. Da gibt es die, die ihre Jugendfotos („Zufällig habe ich heute beim Stöbern dieses Foto gefunden ...“) als Komplimente-Köder auswerfen oder mit schütterer Mähne in T-Shirts mit Rolling-Stones-Zungen angestrengt Frechsein mimen. In den Ratgeberfibeln früherer Kriegsherren wird gelehrt, dass ausschließlich jene Schlachten zu schlagen sind, bei denen man zumindest eine klitzekleine Chance auf den Sieg hat. Fällt in dem Fall flach. Denn, danke, Herr Wilde, auch dafür: „Ehrgeiz ist die Wurzel aller Hässlichkeit.“
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