Verspielte Suche nach dem (jungen) Mann
50 verspielte, getanzte, berührende, immer wieder auch witzige Minuten mit einer praktisch durchgängig positiven, realistisch-utopischen Stimmung, was – neue - Männlichkeit sein könnte/kann, das ist „Söhne“. Die Produktion von VRUM Performing Arts Collective hatte am Allerheiligentag Premiere im Dschungel Wien (MuseumsQuartier).
Krasse Bühnenpräsenz
Getragen weitgehend vom 9-jährigen (!) Jaša Frühwald. Er beherrscht die minimalistisch ausgestattete Bühne als Solist die ersten fast zehn Minuten – und dazu noch – „unsichtbar“ während der gesamten Zeit in der das Publikum den kleineren Saal im Theaterhaus betritt. Wie – das sei hier nicht verraten, der Moment der Überraschung soll nicht gespoilert werden.
Der nunmehr Neunjährige agierte schon in „Herr*Jemineh hat Glück“ (Tanz*Hotel) und in „Lauter Haufen“ (Theaterwild:Werkstatt „Wildfang“) auf der Bühne, hatte aber schon mit sechs Jahren bei der Produktion seiner Mutter „Baja Buf“ einen markanten Auftritt, damals nicht geplant und nicht bei jeder Aufführung.
Spielerisches Entdecken
Spielerisch, mitunter fast tänzerisch, erkundet er ab seinem Auftauchen den Raum – mit der Kindern und vielleicht noch Wissenschafter_innen eigenen Neugier und Wissbegierde. Zum Versteck- und Fangenspiel wird auch die erste Begegnung mit dem zwischen Vorhangschlitzen auftauchenden Vater. Beim Schauspiel- und Tanzduo handelt es sich in echt ebenfalls um Sohn und Vater, Till Frühwald.
Regie und Choreografie führte Sanja Tropp Frühwald, Mutter bzw. Ehefrau. Diese im Kern Familien-Produktion ermöglichte vielleicht bei der Recherche viele sehr privat beobachtete Momente, erlaubte sicher auch mehr Nähe, suchte – und fand – aber sehr wohl allgemeingültige Zugänge zu der Frage, was Vater-/Sohn-Verhältnisse, was Männlichkeit sein kann oder könnte. Als dritter im Bunde taucht nach einer Viertelstunde mit Georg „Guru“ Hübner ein Musiker auf, der das Spiel lange Zeit fast ein bisschen abseits vor allem auf seiner E-Gitarre begleitet, untermalt und erst gegen Ende sich direkt in die Interaktion mit den beiden anderen einbringt.
Nach Mädchen und Frauen nun Buben und Männer
Mit „Tiger Lilien“ hatte die Theater- und Tanz-Macherin rund um den vorjährigen internationalen Frauentag sieben Mädchen und Frauen zwischen 9 und 80 Jahren und ihr Leben vor allem im Moment auf die Dschungel-Bühne gebracht. Das Leben im Moment steht auch – trotz Reflexionen und Erinnerungen – auch im Zentrum des sehr lebhaften Geschehens in „Söhne“. Von der Überhöhung des Vaters als Helden, der so ziemlich alles kann – mit hin und wieder durchaus ironischem Unterton, bis zur Suche nach eigenen Wegen und Rollen, Reflexion des Vaters über die Dinge, die er von seinem Vater mit auf den Weg bekommen hat… Viele Facetten kommen zur Sprache. Wobei Sprache viel breiter angelegt ist als gesprochene Worte. Nonverbales Spiel und tänzerische Bewegung ist Teil dieser Sprache.
Männlich/weiblich ist (fast) verschwunden
„Interessanterweise wurde die Frage nach, was ist männlich/weiblich, in der Probenzeit irgendwann fast obsolet, da nicht mehr konkret nach einer Antwort gesucht, sondern einfach mit den Begriffen gespielt wurde, so dass sie sich tatsächlich verspielten und sich so zeigte, was unter all diesen Begriffen steckte: ein Mensch“, heißt es im pädagogischen Begleitmaterial zum Stück, das von der Dschungel-Homepage downgelaoded werden kann. „Aber: Ist das Neue nicht die emotionale Bindung? Keine Berührungsangst zu haben, die Rollenbilder Mutter = Wärme, Zärtlichkeit, Verständnis, Service und Vater = Action, Spiel, Spaß, Abenteuer, Strenge aufzuweichen und zu verwischen?“
Alternativen sind möglich
„Toxische Männlichkeit“ ist seit einigen Monaten ein fast immer dann verwendeter Begriff wenn (wieder einmal) ein Mann Frau (und Kinder) (tödlich) attackiert hat. Kürzlich meinte eine Interviewpartnerin aus einem Netzwerk für Zufluchtsorte von Frauen (und Kindern) vor häuslicher Gewalt in einem TV-Interview, das sei nichts anderes als das was früher als Patriarchat bezeichnet worden ist.
So neu ist hingegen die Auseinandersetzung mit überkommenden Männlichkeitsbildern gar nicht. Nur scheinen Diskussionen und Erkenntnisse – wie auch in anderen gesellschaftspolitischen Bereichen – immer wieder verschüttet zu werden. Dass alles Private auch politisch wäre, also auch der Umgang zwischen Männern und Frauen oder Erwachsenen und Kindern war schon vor 50 Jahren bei den sogenannten Alt-68ern Thema. Feminismus, nicht zuletzt verknüpft mit dem Namen der damals stark angefeindeten ersten Frauen-Staatssekretärin und später -Ministerin Johanna Dohnal (aktuell ein Film von Sabine Derflinger über sie bei der Viennale), muss offenbar wie auch Anti-Rassismus, Antifaschismus, Umweltschutz usw. jede Generation neu erkämpft werden.
Apropos Umweltschutz
„Das, mein Sohn, wird alles einmal Dir gehören...“ – dieser in vielen Vater-Sohn-Geschichten vorkommende Spruch wird hier vom Sohn mit dem ironischen Rundum-Blick auf die vielen herumkugelnden Plastik-Sackerl in Frage gestellt.
Gewinn - für alle
Quote, Gleichberechtigung … meist konzentriert sich die Debatte jedoch darauf, dass Männer was abgeben sollen/müssen damit Frauen (mehr) Gleichberechtigung erreichen. „Söhne“ vermittelt – ohne je auch nur ansatzweise pädagogisch zu werden, was Buben und Männer gewinnen können: Zu ganzen Menschen werden, die Gefühle nicht verdrängen, unterdrücken müssen. Väter gewinnen so vollwertige Beziehungen zu ihren Kindern, verstümmeln nicht zu abenteuerlichen Bespaßungs-Papas, die nur wenige Stunden Kontakt mit ihren Kindern haben und dabei aber auch unter großem Druck stehen, mit dieser kurzen Zeit aufwiegen zu wollen/sollen/müssen, was eine intensive Bindung zwischen Mutter und Kind ist.
Stress?
Sicher, die intensive Beziehung muss/wird nicht nur angenehm sein. Da kommt’s nicht selten auch zu – gegenseitigem – Stress. Dieser Aspekt kommt in „Söhne“ vielleicht ein wenig zu kurz. Lediglich in einer Situation eskaliert das verspielte Miteinander, als es dem scharf „reichtttt!“, ihm die Geduld reißt. Der Sohn zieht sich in einem Mittelding aus gekränkt und beleidigt fast trotzig zurück. Bis er selbst durch eigenes Spiel wieder zur Fröhlichkeit zurückfindet.
Mag sein, dass das (Zusammen-)Leben von Jaša und Till in echt so praktisch durchgängig harmonisch abläuft, der allgemeineren Gültigkeit würde vielleicht noch die eine oder andere Alltagsstress-Situation – samt spielerischer Auflösung gut getan.
Söhne
VRUM Performing Arts Collective in Kooperation mit Kliker Festival / Vrum Kroatien
Tanztheater mit Livemusik, 50 Min.
Regie, Choreografie: Sanja Tropp Frühwald
Dramaturgie: Cornelius Edlefsen
Performance, Stückentwicklung: Jaša Frühwald, Till Frühwald
Komposition, Musiker: Georg „Guru“ Hübner
Beatboxing Coach: Christian Recklies
Licht: Dina Marijanović
Wann & wo?
Bis 6. November 2019
1. bis 3. März 2010
Dschungel Wien: 1070, MuseumsQuartier
Telefon: (01) 522 07 20-0
dschungelwien
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