Frühere und jetzige Verhältnisse – immerwährend?

Adriana Zartl, Julian Loid, Hubsi Kramar und Tania Golden
Nestroys vorletztes Stück „Frühere Verhältnisse“ mit einem aktuellen Vorspiel im Theater Akzent (Wien) zum Lachen über ewige „menschliche Schwächen“.

Nestroys „Frühere Verhältnisse“ in einer launig-komödiantischen Version, derzeit im Theater Akzent, startet schon rein optisch mit dem Anspruch auf allgemeingültige, universelle Aussagen - über die menschliche Natur. Der gesamte Hintergrund eröffnet einen Blick ins Weltall. Davor drehen sich vier Fahrradfelgen an denen halbgefüllte Wasserflaschen angebracht sind. Sie vermitteln durch ihre Drehungen Anklänge an ein Perpetuum mobile. So wird diese Konstruktion im Internet auch angepriesen. Funktioniert natürlich nur mit zwischengeschaltetem E-Motor, wie Bühnenbildner Markus Liszt verrät. Zwischen den sich drehenden „Wasserrädern“ steht zentral eine Art Skulptur aus zwei ineinander verknoteten Radreifen samt Schläuchen.

Die Radreifen mit ihren Wasserflaschen kriegen mit Beginn der Aufführung noch mehr Sinn, wenn Regisseur und einer der Darsteller, Hubsi Kramar, mit seinem ersten Auftritt Bert Brechts „Ballade vom Wasserrad“ rezitiert. In dem Gedicht heißt es unter anderem:

„Freilich dreht das Rad sich immer weiter
dass, was oben ist, nicht oben bleibt.
Aber für das Wasser unten heißt das leider
nur: Dass es das Rad halt ewig treibt.“

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Julian Loidl und Adriana Zartl

Volksdichter

Beide, Brecht und Nestroy, seien zu ihrer jeweiligen Zeit große Volksdichter gewesen, so Kramar. Menschliche, allgemeinere, strukturelle Verhaltensweisen in konkrete fast einfache Geschichten verpackt, und an ein breites Publikum gerichtet, das schafften beide.

Dieser Einleitung folgen Szenen und Lieder eines Vorspiels, genannt „Jetzige Verhältnisse“, verfasst von Eva Schuster, gespielt von jenem Quartett, das im Hauptteil in „Frühere Verhältnisse agiert. Im Format einer TV-Diskussion werden über ein offenkundig belangloses Thema – Diebstahl einer Mozartkugel – im Stile Hundertfacher Fernsehdebatten gegenseitig Be- und Anschuldigungen in die Runde geworfen. Couplets und Zwischenbemerkungen tippen immer wieder aktuelle oder „kurz“ zurückliegende politische Verhältnisse an – von Ibizia bis Einzelfallllllll.

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Tania Goldenund Hubsi Kramar

Langsamer Wechsel in die Vergangenheit

Langsam mit Umziehen auf offener Bühne verwandeln sich die TV-Debatten-Teilnehmer_innen in die Figuren aus Nestroys Einakter und werden vom Regisseur vorgestellt. Der frühere Hausknecht ist nunmehr Holzhändler namens Scheitermann, bewusst mit dem entsprechenden Anklang. Durch fast ständiges Verwechseln von Fremdwörtern entblößt er sich sozusagen als Art Depp, der sich gern einen intellektuelleren Anstrich gibt. Sehr witzig und nie zu blöd gespielt von Julian Loidl. Zu seinem Wohlstand ist er nur dank der Ehe mit einer Tochter aus gutem Haus aufgestiegen. Die ahnt eine Art dunkles Geheimnis, erhebt sich charmant über seine Stumpfheit, die sie liebend gern schmollend ausnutzt. Adriana Zartl gibt diese Josephine Scheitermann sehr galant mit einem Schuss Arroganz.

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Tania Golden und Adriana Zartl

„Ambulante“ Theater

Ein wahrhaftes Bühnenereignis samt mehrfacher Doppelböden ist Tania Golden in der Rolle der Peppi Amsel. Gegenüber dem heruntergekommenen Herrn und nun sich bei Scheitermann als Hausknecht bewerbenden Anton Muffl (Anmerkung: Muffel ist eine Art grantiger, griesgrämiger Mensch – im ostösterreichischen Dialekt) gibt sie sich glaubhaft als Dame des Hauses. Dieser begegnet sie als die neue Köchin mit mehr als einem Schuss Mehrwert, als Detektivin, die ihres Ehmanns Geheimnis lüften könnte. Und nie wird sie müde, durchklingen zu lassen, dass sie ja eigentlich zu Höherem auf der Welt sei, habe sie doch landauf landab auf Bühnen die perfekte Liebhaberin gespielt, in „ambulanten“ Theatern. Wobei Nestroy dieser Schauspielerin auf Kleinbühnen so manche Kritik am Theaterbetrieb in den Mund legt(e).

Schließlich und endlich der heruntergekommene, fast verzweifelte Muffl, der von seinem ehemaligen Knecht Schweigegulden kassieren möchte, will der doch ja nicht, dass seine Ehefrau von seiner Vergangenheit erfährt. Natürlich braucht’s auch noch einen dunklen Fleck von Peppi. Die hatte mit Muffel ein (früheres) Verhältnis.

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Führte Regie und spielte: Hubsi Kramar

Struktur bleibt (noch?)

Und klar, am Ende doch eine Aufklärung aller früheren Verhältnisse, um die jetzigen als „ehrliche Gaunereien“ fortzusetzen. Oben wird unten und gelangt wieder nach oben – doch die Struktur bleibt sich gleich. „Der Mensch ist guat, nur die Leut san a Gsindl“ lautet ein berühmtes Zitat von Johann Nepomuk Nestroy. Und doch geht’s um noch ein „bisschen“ mehr, wie Kramar in Brechts Ballade rezitiert:
Ach, der Stiefel glich dem Stiefel immer
und uns trat er. Ihr versteht: Ich meine
dass wir keine andern Herren brauchen, sondern keine!

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Anja Pichler mti der Harfe

Musik!!!

Neben der schauspielerischen Leistung des Quartetts, dem genialen Einfall zur Bühnengestaltung und den treffsicheren, punktgenauen Texten gilt es die beiden Musiker_innen die im Hintergrund aber immer wieder markante klangliche Akzente setzen, hervorzuheben.  Michael Reitinger (Komposition und musikalische Leitung) spielt auf der Gitarre immer wieder eine Art kommentierten Soundtrack und Anja Pichler entlockt ihrer Harfe die mitunter unglaublichsten Gewitterstürme neben sanfter Untermalung und Begleitung. Wovon es leider keine Fotos gibt ;(
Update 11.November 2019, 13.35: Jetzt gibt es davon Fotos ;)
 

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Gitarrist Michael Reitinger hat auch die Musik fürs Stück komponiert

Frühere Verhältnisse
von Johann Nestroy

Regie: Hubsi Kramar
Texte der Lieder und Szenen im Vorspiel „Jetzige Verhältnisse“: Eva Schuster

Es spielen
Josephine Scheitermann: Adriana Zartl
Holzhändler Scheitermann, ihr Ehemann: Julian Loidl
Peppi Amsel, Köchin und Schauspielerin auf kleinen Wanderbühnen: Tania Golden
Anton Muffl, verarmter ehemaliger Herr und nunmehriger Hausknecht bei den Scheitermanns: Hubsi Kramar

Live-Musik: Anja Pichler (Harfe), Michael Reitinger (Gitarre sowie Komposition und musikalische Leitung)

Kostüme: Maddalena-Noemi Hirschal
Bühne: Markus Liszt

Bühnentechnik: Manfred Puder
Beleuchtung: Gerhard Scherer
Tontechnik: Korbinian Herlein

Wann & wo?
14., 23., 29. November 2019
3. und 6. Dezember 2019
jeweils 19.30 Uhr
Theater Akzent: 1040, Theresianumgasse 18
Karten Hotline: (01) 501 65/13306

akzent.at

Frühere und jetzige Verhältnisse – immerwährend?

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