"Fahrenheit 451" im TAG: Wenn die Feuerwehr zündelt statt zu löschen

Szenenfoto aus "Fahrenheit 451" im TAG - Theater an der Gumpendorfer Straße (Wien)
Phasenweise atemberaubend, wie ein fast 70 Jahre alter Roman „brennend“ aktuell wirkt - im Theater an der Gumpendorfer Straße (Wien).

Such dir einen Feind/ein Feindbild und du formst die Masse fast wie warmes Wachs in deinen Händen. Sie folgen dir, die meisten hinterfragen (fast) nichts. Die wenigen, die’s tun, werden von den anderen an den Rand gedrängt, ausgegrenzt, beschuldigt, mit dem Feind im Bunde zu sein. In einer solchen Phase (1953 erschienen) schrieb der US-Schriftsteller Ray Bradbury „Fahrenheit 451“. Nun wird es vom TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße, Wien) gespielt. Leichte Adaptierungen, aber im Grunde der „alte“ Roman und doch so aktuell. Der wichtigste Wunsch von „Millie“, Mildred Montag (Michalea Kaspar), war auch damals schon der nach einer vierten Bildschirmwand. Dass es bei drei bleibt ermöglicht dem Publikum, Einsicht in diese Welt der Manipulation und Bücherverbrennung zu nehmen. Selbst wer Roman, frühere Bühnen- oder auch Filmversionen kennt, wird 1 ½ Stunden in den Bann gezogen.

Mehr über das Stück hier unten – verfasst von der fast 16-jährigen Wiener Gymnasiastin Mona Bannour, die die erste Aufführung vor Publikum – noch vor der Premiere – besucht hat:

Realer Hintergrund

Damals wurden in den USA – angefeuert von Senator Joseph Mc Carthy – vor allem Künstlerinnen und Künstler, die auch nur irgendwie gesellschaftspolitisch aktiv waren oder sich kritisch äußerten verfolgt und praktisch mit Berufsverbot belegt. Der Vorwurf: „unamerikanische" oder "kommunistische Umtriebe“. Treppenwitz der Geschichte im „Kalten Krieg“: Auf der anderen Seite des „Eisernen Vorhangs“ (Stacheldraht-Zaun-Grenze zwischen Ost und West in Europa) wurden kritische Geister ziemlich ähnlich als „Klassenfeinde“ denunziert.

Übrigens: Zur Erklärung des Titels: Fahrenheit ist eine andere Temperatur-Einheit als Celsius (ferner gibt es Kelvin). 451° Fahrenheit entsprechen 232,7778 ℃. Bei dieser Hitze entzündet sich Papier selbst.

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Bücherverbrennungen

Mit dem Verbrennen von Büchern, dem Auslöschen von Gedächtnis und Geschichte, spielte Bradbury sicher auch auf die Massen-Bücherverbrennungs-Events der Nazis ab 1933 an. Es gab solche aber schon im Mittelalter, wo die Kirche „ketzerische“ Schriften auf Scheiterhaufen verbrennen ließ.

Wie schon erwähnt – die Bildschirmwände hatte Bradbury schon in seinem vor fast 70 Jahren erstmals veröffentlichten Roman beschrieben – als Art freiwilliges Gefängnis, in das sich vor allem Mildred Montag begibt, das sie aber auch so fertig macht, dass sie nur mit Hilfe von Tabletten den Alltag übersteht.

Die Inszenierung im TAG (Susanne Draxler und Mimu Merz) lässt noch mehr Realität und Virtualität ineinander übergehen, die Grenzen dazwischen fast auslöschen und erhöht/verstärkt/erleichtert damit die Manipulierbarkeit – und seien wir doch ehrlich: Sind wir nicht vielleicht schon dem einen oder anderen – massenhaft über soziale Netzwerke verbreiteten Fake aufgesessen?

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Szenenfoto aus "Fahrenheit 451" im TAG - Theater an der Gumpendorfer Straße (Wien)

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Szenenfotos aus "Fahrenheit 451" im TAG

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