Sibirien, Demenz, Mut und zarte, spitze Falter
Neben dem April als Lesemonat (Andersentag am 2. und Welttag des Buches am 23. 4.) dreht sich auch die Vorweihnachtszeit vielfach um Geschriebenes – von der Buch Wien über Buchausstellungen in vielen Schulen bis hin zur anderen Seite, der (junger) Schreibender mit der Verleihung von Literaturpreisen: Von den Erich-Fried-Tagen über die Literaturwerkstatt (vor allem in der und für die Steiermark), die exil-Literaturpreise („Schreiben zwischen den Kulturen“) bis zum Bewerb mit der wohl glanzvollsten Gala, dem „Preis für junge Literatur“ vom Verein „Literarische Bühnen Wien“.
Zum achten Mal lasen vier Schauspieler_innen des Burgtheaters Auszüge aus allen Texten Jugendlicher, die es bei dem zuletzt genannten Bewerb – diesjähriges Motto: Können wir noch? - ins Finale geschafft hatten (25 von rund 300). Der Bewerb ist übrigens mehrstufig – in der ersten Phase stellen sich alle Texte einem Online-Voting, die Top-Autor_innen werden dann zu Workshops mit Autorinnen und Autoren geladen und verfassen einen weiteren Text. Auch der steht auf der Website des Bewerbs zur Abstimmung. Darüber hinaus tagt eine Fachjury und bewertet die Texte – was 3/5 der Wertung ergibt. Gemeinsam mit den Online-Stimmen, die mit 2/5 gewichtet werden, ergibt sich eine Punktezahl für die Reihung – der ersten drei.
Aber alle, die es ins Finale geschafft haben, dürften sie sich als Siegerinnen und Sieger fühlen, meinte der Obmann dieses Vereins, Cornelius Obonya. Er trug übrigens den gesamten Text der diesjährigen Siegerin Hannah Oppolzer, vor: „In einem fernen Land“ (der ganze Text weiter unten).
Zufall am Rande: Die Mutter der Siegerin verrät dem Kinder-KURIER: „Vor vier Jahren habe ich im Radio gehört, wie Obonya von dem Bewerb berichtet hat. Das hab ich gleich der Hannah erzählt.“ Somit stand der Schauspieler am Beginn und am Ende der Karriere der Siegerin des Bewerbs. (Nun hat sie die obere Altersgrenze – 19 – überschritten.)
Der Text malt Stimmungen
„In dem Text, der die Jury heuer am meisten überzeugt hat, geht es um ein Paradies. Ein ödes, kaltes, befremdliches Paradies - man fragt sich, ob es tatsächlich erstrebenswert ist, dorthin zu gelangen, an dieses Ende der Welt. Doch je mehr uns der Protagonist (der allerdings wohl auch eine Protagonistin sein könnte, Anm. der Redaktion) über diesen Ort erzählt umso mehr verstehen wir, können die Sehnsucht förmlich spüren. Das nostalgische Verlangen nach „stillerstickter Einsamkeit“ nimmt uns in ein fernes Land mit, welches sich mystisch und doch perfekt in seiner Einfachheit offenbart…
Durch gekonnten Einsatz von Sprache, malt der Text eine Stimmung. Er packt seine Leser*innen auf sanfte, melancholische Weise, nimmt sie mit auf eine Reise in ein fernes Land und durch die Gedanken und Gefühle des Protagonisten (oder, siehe Anm., oben), bittet uns zuzuhören. Wer hier erzählt, sieht etwas, das nicht jeder sieht und vermag es auf fesselnd sanfte Weise so zu erklären, dass jeder versteht.“
„Mein großes Thema“
Sibirien, das ist jenes ferne Land, das die Siegerin so spürbar beschreibt. „Mit 12 Jahren“, so erzählt die 20-jährige Germanistik- und Philosophie-Studentin dem Kinder-KURIER, habe sie begonnen, ein Jugendbuch zu schreiben, in dem es um Sibirien geht. „Eine Dystopie, die in der Zukunft spielt. Die Hauptperson ist eine Soldatin. Ich hab die Geschichte in sibirien angesiedelt, einem Land über das wir hier nicht sehr viel wissen. Ich hab am Anfang auch nichts gewusst, war noch nie dort, werde aber sicher einmal hinfahren. Bisher hab ich viel darüber gelesen – Reiseberichte und Reportagen - und recherchiert, alte Bildbände angeschaut.“ Mit ihrem „großen Projekt, das wird wahrscheinlich eine Trilogie und vielleicht dauert’s noch 20 oder mehr Jahre bis der Roman fertig ist“ will sie aber ein differenzierteres Bild – erarbeiten und den Leser_innen bieten.
Zweites Thema
Neben dem (noch) unbekannten Land verarbeitete die junge Autorin, die erst kürzlich einen anderen Preis gewonnen hat (Ernst-und-Rosa-von-Dombrowski-Stiftungspreis in Graz), ihr zweites großes Thema, das sie beschäftigt: Demenz. Gegen Ende ihres siegreichen Textes heißt es „und ganz selten erinnere ich mich daran, dass ich das war, damals in Sibirien, dass es auch schöne Zeiten gab, in denen ich mir die Erinnerungen nicht in Büchern erlesen musste…“
Im Vorjahr – sie schaffte es heuer zum dritten Mal hintereinander ins Finale der besten zwei Dutzend Texte – kreiste ihr Text „es ist okay“ um eine ältere, schon demente Frau und das zufällige Spiel mit Kindern in einem Café. Ihr eigener Großvater sei schwer dement, so die Jungautorin, die als Kind mehrfach bei Zeitungs-Workshops Beiträge für den Kinder-KURIER verfasst hatte. Vor allem die Verbindung Dementer mit Kindern beschäftige sie (nicht nur literarisch), „weil die oft einen anderen, einen naiveren Zugang zu dieser Krankheit haben. Auch wenn sie dann manches nicht verstehen oder sie sich auch über Vergesslichkeit von Dementen ärgern, sehen sie oft als Spielgefährten – und umgekehrt.“
Mutig sein
„Meine Texte passieren einfach so, ich weiß es oft nicht wie“, sagt die Gewinnerin des zweiten Platzes, Anna Bauer aus dem Gymnasium Mattersburg (Burgenland) dem Kinder-KURIER. In „Mutig sein“ beschreibt sie in fünf Szenen unterschiedliche Situationen, in denen es um Mut geht. Auch eine, die vielleicht ungewöhnlich wirken mag, weil die Hauptperson nicht vom Sprungturm ins Wasser hüpft, sondern eben den Mut hat, umzudrehen und die Stufen wieder hinunter zu steigen: „Weil ich mutig war, sage ich, ich habe mich gegen deine Erwartungen gewehrt.“
Zum Schreiben ist die 18-jährige fast zufällig gekommen, berichtet sie. „Irgendwie hab ich schon immer ein bissl geschrieben, aber wirklich angefangen hab ich erst durch Workshops im Literaturhaus Mattersburg. Auf die bin ich ganz zufällig gestoßen, weil ich oft in der Bibliothek dort war und dann eines Tages davon erfahren habe. Das war in der fünften Klasse“, also vor drei Jahren.
„Ich werde oft gefragt, wie ich zu meinen Texten komme. Aber das kann ich meistens nicht sagen, oft ist es ein Satz, der mir einfällt und dann fließt’s aus mir raus.“
Die Jury fand unter anderem: „Mutig sein ist ein Text, der uns Empfindungen und Stimmungen mitspüren lässt. Indem wir lesen, sehen, hören, ja, riechen wir mit. Die feine Beobachtungsgabe wird unterstrichen durch die häufige Verwendung der persönlichen Fürwörter Du und Wir, die uns in den Text hineinziehen, weil sie uns persönlich ansprechen und mitnehmen ins Geschehen.
Und so stehen wir mit Gänsehaut mit oben auf dem Sprungbrett, im Hallenbad, wo es nach Chlor riecht, wir wippen mit auf und ab- und springen nicht. Weil wir mutig waren.“
Sehr einfühlsame Schilderung
Paula Dorten, die Gewinnerin des dritten Platzes dieses Bewerbes, nimmt ihre Leserinnen und Leser mit in ein Gasthaus. Ein (Ehe-)Paar ist geteilter Meinung über die Qualität der Speisen. Im Wesentlichen bar geht es um das Geschehen auf einem benachbarten Tisch und das dortige Mädchen namens Tina und seine Schmerzen. Deren Ursache deutet die junge Autorin, Schülerin einer 5. Klasse des Mödlinger Gymnasiums Bachgasse „nur“ an – sensibel – wie sie auch alles andere dicht beschreibt.
„Bestechend zudem die atmosphärische Dichte des Textes“, fand die Jury: „Licht, Luft, Farben und Stimmung im Wirtshaus werden hervorragend eingefangen. Die Beschreibungen beziehen alle Sinne ein. Man spürt förmlich, wie sich die Speisen in Tinas Mund anfühlen, schmeckt den weichen Kartoffelsalat, riecht den Duft von Omas Handcreme und hört das metallische Einrasten von Elis Gurt.
Ein sensibel und einfühlsam erzählter Text über Grobheiten und Empfindsamkeit, Genuss und Gier, und das Wegschauen beziehungsweise Ignorieren Anderer und derer Befindlichkeiten.“
Sie schreibe schon seit der Volksschule erzählt die junge Autorin dem Kinder-KURIER. „Das mach ich schon immer gerne. Ich hab auch irgendwann ein kleines Heft gefunden, in das ich schon in der Volksschule Tiergeschichten geschrieben habe. So ein Wettbewerb wie der gibt mir auch ein Ziel, dass ich meine Gedanken ordnen kann.“ Paula Dorten äußert dem Reporter gegenüber den fixen Berufswunsch, „ich will Journalistin werden, um mit Texten der Welt die Wahrheit mitzuteilen“. Mit literarischen Geschichten wie der aus dem ausgezeichneten Text will sie aber auch in Menschen Gefühle wecken, „weil das führt doch auch zum Nachdenken“.
Rezepte für sich selber
Ebenfalls schon seit der Volksschule schreibt einer der wenigen Burschen, der es ins Finale geschafft hat, Philipp Lang. Er besucht die 7. Klasse im GRG Draschestraße (Wien). „In der 3. Klasse hab ich Gregs Tagebuch gelesen und dann mein eigenes angefangen, aber ein fiktionales. Dann hab ich begonnen, eigene Science-Fiction- und Fantasy-Geschichten zu schreiben. Vor zwei Jahren hab ich zwei eigene Bücher online veröffentlicht.“
Teilweise verarbeite er Dinge, die ihm selber passiert seien. „In einer Geschichte lass ich die Hauptfigur sich seiner Ängste stellen. Und das hat mir dann geholfen, es auch in Wirklichkeit zu tun.“
Gefühle verarbeiten
Gefühle will Deeksha Joshi, 18-jährige Schülerin der maturaklasse im Gymnasium Zirkusgasse, mit ihren Texten verarbeiten. „Weilen vor dem Fenster“ entstand aus enttäuschend verlaufendes Date, vertraut sie dem Kinder-KURIER an. „Wenn es mir nicht gut geht, dann schreib ich los. Dann geht’s mir meistens leichter. Viel öfter aber zeichne ich – das schon lange. Texte schreib ich erst seit ungefähr einem Jahr. Beides ist so etwas wie ein Zufluchtsort für mich.“
Reisen und zweite Muttersprache verbessern
Bernadette Sarman schildert dem Kinder-KURIER, „dass ich in meinen Geschichten auch die Namen sehr gezielt auswähle“. In „Sternsplitter“ beschreibt sie eine schmerzhafte Trennung. Die Frau nennt sie Esther, „weil das Stern bedeutet. Und deren Sohn gab sie den Namen Noah, „das steht auch für beruhigend“.
Nach der Matura macht die Jungautorin, die seit ungefähr sechs Jahren kreativ schreibt und mit Fantasty-Storys begonnen hat, „vorerst einmal ein Gap-Jahr. Im Moment arbeite ich als Verkäuferin und dann werde ich um Teile der Welt reisen, Südostasien – Thailand, Kambodscha und Vietnam und dann 3 1/2 Monate in Japan mein Japanisch (ihre zweite Muttersprache) auffrischen und verbessern.“
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