Ein von (fast) allen Ausgestoßener kämpft um Anerkennung

Szenenfoto aus "Das Gemeindekind" im Theater Spielraum
Marie von Ebner-Eschenbachs "Das Gemeindekind" in überzeugender, kompakter, berührender Version im Theater Spielraum (Wien). Wiederaufnahme November 2020.

Ein Außenseiter, vom ganzen Dorf an den Rand – und darüber hinaus – gedrängt. Passiert irgendetwas, geben ihm alle die Schuld. Versucht er sich zusammenzureißen, hilft’s auch nicht. Also erfüllt er die Erwartungen der anderen und agiert (jäh-)zornig, böse. Das ist Pavel Holub, die Hauptfigur in Marie von Ebner-Eschenbachs „Das Gemeindekind“ (erstveröffentlicht 1887).

Überzeugend kompakt

In einer knapp mehr als 1 ½-stündigen Fassung spielt ein engagiertes Ensemble eine überzeugende kompakte Bühnenversion dieses Romans im Theater Spieltraum. Wie fast immer in diesem ehemaligen Kino in der Wiener Kaiserstraße wurde Literatur - vorwiegend österreichische, wenngleich nicht ausschließlich – dramatisiert. Texte, die schon einige Jahrzehnte und mehr sozusagen auf dem Buckel haben. Und doch Themen aufgreifen, als würden sie aus aktueller Zeit entspringen. Gut, Gemeindekind wird als Begriff nicht mehr verwendet. Das war eine Bezeichnung für Kinder, für die Gemeinden – mangels Eltern oder anderer Verwandter – die Obsorge übernehmen mussten. Aber dass (fast) alle Mitglieder einer Gemeinschaft eine/n ins Abseits drängen, sie/ihn so drangsalieren, dass dieser Mensch dann durchaus auch böse reagiert und aggressiv wird…

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Da hat Pavel gerade noch die Stiefel

Die Story

Kurz die Grundgeschichte: Pavels Vater wurde der Mord an einem Vater zur Last gelegt. In der Verhandlung beschuldigte er seine Ehefrau, ihn angestiftet zu haben. Die Mutter kommt für zehn Jahre ins Zuchthaus, der Vater wird zur Todesstrafe verurteilt und aufgehängt. Pavel und seine jüngere Schwester Milada werden Gemeindekinder.
Für das Mädchen übernimmt die Baronin die Verantwortung – und schickt sie in ein Kloster. Der Bub landet bei einem Hirten, seiner Frau, einer Giftmischerin, und deren Tochter. Diese Familie übernimmt den Buben, weil sie von der Gemeinde Geld kriegt, hält ihn aber sklavenähnlich.
Es gibt allerdings einen, der an Pavel glaubt, den Dorflehrer. Doch auch vom Schulbesuch will ihn seine Pflegefamilie abhalten, selbst die Stiefel, die er vom Lehrer geschenkt bekommt, nehmen sie ihm ab, weshalb er sich auch danach gar nicht mehr in die Schule traut. Und dann ist noch seine Schwester, die er kaum sehen darf, aber die ihm bei einen der seltenen Gespräche durchs vergitterte Fenster zuredet, brav zu sein – zum Seelenheil der Eltern.

Das überzeugt ihn, er kämpft um ein anständiges Leben, um ein bisschen Bildung, arbeitet fast rund um die Uhr – für andere und spart so ein bisschen Geld zusammen, um sich einen – überteuerten – Grund zu kaufen und ein Haus zu bauen – in dem er seine Mutter nach deren Gefängnisaufenthalt aufnimmt…

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(Noch) immer aktuell

Traurig, aber wahr. Noch lange nicht überwunden.

Aber, Ebener-Eschenbachs Roman, in dem sie – wie in anderen Werken auch – Außenseitern Gesicht, Stimme und Gefühle gibt, versprüht auch einen Funken Hoffnung. Der Lehrer glaubt an Pavel – mehr als dieser selbst. Und selbst, wenn er auf dem Weg bergauf (noch) nicht wirklich glücklich wirkt, er lässt sich nun nicht mehr beirren.

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Rollenwechsel

Wie es für ein kleines Theater fast zwangsläufig notwendig ist, übernehmen mehrere Schauspieler_innen mehrere Rollen. Dana Proetsch ist meisterhaft böse – in den verschiedensten Variationen von der Baronin da distinguierter bis zur Hirten-Ehefrau als die sie ziemlich derb und niederwalzend handelt.

Veronika Petrović und Paul Graf müssen in ihren Rollenwechseln nicht so viel changieren. Erstere spielt sowohl als Hirtentochter Vinska als auch der Baronin Magd Slava ein bissl kokett-durchtreiben. Als Milada kommt sie später nur zu Kurzauftritten hinter dem vergitterten Klosterfenster. Wirklich stark berührend bis fast herzzerreißend ist allerdings ihr erster Auftritt, als sie gemeinsam mit ihrem Bruder Pavel unter dem Tisch hervorgezerrt werden. Beide, die nun nach dem Gerichtsurteil allein sind, klammern sich verzweifelt aneinander. Was den anderen, die sie brutal trennen, ziemlich wurscht ist.

Abraham Thill als empathischer Lehrer umgibt seine Rolle dennoch mit einem Hauch von Geheimnis.

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Wahrhaft überzeugend spielt vor allem David Czifer das Gemeindekind Pavel Holub. Sowohl den immer wieder gedemütigten, unterdrückten und durchaus auch daraus resultierend aggressiven Part. Als auch jenen Pavel, der die Aggression überwindet, sich mit Fleiß und Aufopferung versucht, auf einen Weg zum Besseren durchzukämpfen…

Abgesehen von der Regie – genial Nicole Metzger – rundet vor allem auch die doch schlichte Bühne und der Sound mit sozusagen immer wieder Erkennungsmelodien – Dimiter Ovtcharov die sehr sehenswerte Produktion ab.

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Das Gemeindekind
Nach dem Roman von Marie von Ebner-Eschenbach in einer Bühnenfassung von Nicole Metzger
105 Minuten

Pavel Holub, das Gemeindekind: David Czifer
Lehrer Habrecht: Abraham Thill
Baronin/Vrigilova, die Hirtenfrau/Klosterfrau/Mutter Holub: Dana Proetsch
Milada/Vinska, die Hirtentochter/Slava, Magd der Baronin: Veronika Petrović
Peter, Sohn des Bürgermeisters/Arnost, Häuslersohn/Klosterfrau: Paul Graf

Regie: Nicole Metzger
Bühne & Sound: Dimiter Ovtcharov
Kostüm: Anna Pollack
Licht: Tom Barcal
Assistenz/Mitarbeit: Magdalena Marszalowska, Harald Ruppert

Wann & wo?
Bis 3. bis 7. sowie 10. bis 14. November 2020
Theater Spielraum: 1070, Kaiserstraße 46
Telefon: (01) 713 04 60
eMail: office@theaterspielraum.at
www.theaterspielraum.at/karten.html
www.theaterspielraum.at

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