Eeeendlich wieder Theater - und dann so aktuell wie nie geplant
Ein Stück das vor einem halben Jahr wie eine Begegnung mit einer völlig fremden Welt gewesen wäre, heute aber gar nicht mehr so fremd wirkt, eröffnete die neue Theatersaison: „Hikikomori“ im Theater Arche in der Wiener Münzwardeingasse (vormals Theater Brett).
Kürzest zusammengefasst steht der japanische Begriff „hikikomori“ (hiki = zurückziehen, komori = sich verstecken) für ein seit Jahrzehnten grassierendes Phänomen des praktisch totalen Rückzugs ursprünglich Jugendlicher mittlerweile auch längst gar nicht mehr junger Erwachsener ins eigene Zimmer. Und damit ist – ohne jetzt mehr dazu schreiben zu müssen – klar, weshalb bis vor ein paar Monaten befremdlich und jetzt gar nicht mehr. Einziger – doch gravierender – Unterschied: Bei Hikikomori ist die Selbstisolation frei gewählt. Zumindest vordergründig. Extremer Leistungsdruck, optimiert funktionieren zu müssen usw. kann eine durchaus plausible Erklärung für diesen Rückzug sein.
Übrigens: In der ersten Woche des Lockdown besuchten abwechselnd an einigen Abenden - unter Einhaltung aller damals geltenden Auflagen - jeweils einzelne Journalist_innen - das Stück, weil es eben so zur Lage passte.
Die KiKu-Story darüber findest du hier unten:
Lebendige Angst vorm Leben
Genug der Vorbemerkungen, die beiden Theater-Co-Leiter_innen Manami Okazaki (Schauspielerin, Sängerin, Musikerin) und Jakub Kavin (Regisseur) hatten vor mehr als einem Jahr die Idee, zu diesem Phänomen, das längst nicht mehr auf Japan beschränkt ist, ein Stück entwickeln zu wollen. Sie baten Sophie Reyer und Thyl Hanscho dazu einen Text zu verfassen. Was diese in einem Ping-Pong – und lange vor Corona – getrennt voneinander mit digitaler Kommunikation gemacht haben. Ein Text, der keine Story und schon gar nicht linear erzählt, sondern oft in Wortfetzen und –spielen versucht die Gefühlslage eines Hikikomori-Menschen zu erfassen. Nicht beschreibend, sondern für die Außenwelt Ahnungen eines solchen Zustands vermittelnd.
Und den erweckt Manami Okazaki, die Solodarstellerin im Kinder-Jumpsuit, als wär’s ein bisschen zu groß geratener Baby-Strampler, zum Leben. Auch wenn sie fast schmerzhaft spüren lässt, wie ein solcher Mensch aus Angst vor der Angst mit Leben gar nicht in Berührung kommen mag. Fast eineinhalb Stunden zieht sie diese in sich zurückgezogene, über weite Phasen in einer Art Kindheit stecken bleiben wollende, aber nie wirklich lebendig spielen könnende Person.
Hin und wieder blitzt Lebenslust auf
Sowohl in ihrem echten Leben im vorderen Teil der Bühne – eine Art Kinderzimmer – als auch in dem durch einen dünnen Vorhang getrennten hinteren Teil, in dem sie (alb)träumt. Der Vorhang wird übrigens immer wieder Projektionsfläche für atmosphärische Malerei von Hiromitsu Kato als auch vergrößerter Ansichten des Gesichts der Schauspielerin. (Bühne: Bernhardt Jammernegg, Jakub Kavin).
Nur in ganz wenigen Momenten lässt sie doch Funken von Lebenswillen und -lust aufblitzen, vor allem, wenn sie Saxophon spielt. Oder aus den Klavierübungen mit dem Zwangsstück (fast) aller, die das Tasteninstrument lernen – Beethovens „Für Elise“ – ausbricht in wilde Variationen und Improvisationen. Oder auch, wenn sie im Traumteil hadert, dass sie trotz Laufens nicht vom Fleck kommt.
Der Ansatz eines Twists gegen Ende sei allerdings nicht verraten.
Freude
Freude war bei allen zu spüren, die nun eeeeendlich wieder Theater erleben durften. Nase-Mundschutz in den verschiedensten Farben und Variationen im Foyer und beim Einlass. Dieser erfolgte gestaffelt, um immer den Abstand zu wahren, was eine gewisse logistische Herausforderung für die Mitarbeiter_innen war. Eine gewisse Verhaltenheit des Publikums, das in gebührendem Abstand sitzen und damit viele Plätze frei lassen musste, aber die Theater-Enthusiast_innen auf der Seite der Produzent_innen und jener der Konsument_innen war sehr spürbar. Übrigens: Unter den Premierengästen auch Ulrike Lunacek, bis vor zwei Wochen Staatssekretärin für Kunst und Kultur. Sie hatte sich aber schon als sie die Funktion noch hatte, für den erstmöglichen Spieltermin in der Theater Arche angemeldet – damals schien’s noch der 1. Juli zu sein.
Hikikomori
Eine Produktion der Theater Arche
Autor*innen: Sophie Reyer, Thyl Hanscho
Schauspiel und Musik: Manami Okazaki
Regie, Visuals: Jakub Kavin
Regieassistenz: Odilia Hochstetter
Bühne und Technik: Bernhardt Jammernegg, Jakub Kavin
Gemälde: Hiromitsu Kato
Ein besonderer Dank geht außerdem an: Heide Maria Hager, Anna Anderluh, Masaru Yokoyama, Nicole Burger, Sisi und Walter Gaidos, Yuji Gakon und an unserer 59 Unterstützer_innen bei wemakeit.com!
Wann & wo
Bis 4. Juli 2020
unter den neuen Abstands- usw. -regeln
1060 Münzwardeingasse 2a
office@theaterarche.at
Weitere Infos:
Theaterarche -> Hikikomori/
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