Bin ich du oder ich oder beides?
„Hautsache … ich, ich meine wir, wir putzen uns die Haare und kämmen das Gebiss… ich mit mir/Du mit dem draußen/Das drinnen mit dir/Da stinkt was nicht…“
Zwar laut und deutlich nach außen sprechend, aber völlig in sich versunken und doch nicht wissend ob sie Eine ist oder die verschiedenen Anteile in ihr mittlerweile schon zu mehreren Personen geworden sind…
Manches sagt sie vor sich hin, anderes schreit sie hinaus in die fast leere Bühne, ins Publikum. Anderes singt sie – von arienartig bis zu schrillen Klangexplosionen – untermalt von Spiel auf dem Keyboard. Anderes wird sie übers Saxophon rausblasen.
Wir befinden uns in einer exklusiven, sehr, sehr frühen Probenphase für ein neues Stück, das rund um Frühlingsbeginn des kommenden Jahres Premiere im Wiener Theater Arche haben wird – und später möglicherweise ein Gastspiel in Japan. Noch sammelt die Gruppe Geld via Crowdfunding, um die Produktion verwirklichen zu können – für Raumkosten (Proberaum und Spielortmiete), Ausstattung, Werbung und Gagen für die Künstler_innen. Als Gegenleistung gibt es gestaffelt, je nach Sponsorbeitrag verbilligte Tickets, Wohnzimmerkonzerte, Geburtstagsständchen oder Gesangsunterricht. Link siehe unten.
Ganz allein
Auf der Bühne – sprechend, singend, tanzend, musizierend: Ausschließlich und ganz allein, Manami Okazaki. In Japan aufgewachsen, lebt die ausgebildete Opernsängerin, die aber immer wieder auch mit Wienerliedern auftritt, seit zehn Jahren in der Welthauptstadt der Musik. Das Stück, das derzeit in Entwicklung ist, widmet sich der japanischen Volkskrankheit „Hikikomori“.
Vor mehr als zehn Jahren schrieb Holger Schober dazu ein Stück, das er im Theater an der Gumpendorfer Straße auch selber spielte und von mehreren Dutzend Theater(gruppen) in verschiedenen Ländern nachgespielt wurde. Einige Jahre später spielte eine jugendliche Gruppe aus dem Grazer Theater am Ortweinplatz (taO!) eine eigene, ziemlich andere, aber fast treffendere Version des gänzlich zurückgezogenen jungen Mannes.
Neu und ganz anders
Nun kommt „Hikikomori“ also wieder. Neu und anders. Der aus Japan stammende Begriff, der zwei Wörter zusammensetzt - zurückziehen (hiki) und sich verstecken (komori) - bezeichnet eine Art Volkskrankheit vor allem männlicher Jugendlicher bzw. mittlerweile nicht mehr nur junger Erwachsener in diesem ostasiatischen Land. 50-Jährige, die nur in ihrem Zimmer leben, von 80-jährigen Eltern das Essen vor die Tür gestellt kriegen und bestenfalls später dort die leeren, schmutzigen Teller vorfinden.
Schreib-Ping-Pong
Das Theater Arche (vormals TheaterBrett) in der Münzwardeingasse nimmt sich des Themas mit ganz neuen Zugängen an. Es wird keine Geschichte erzählt, sondern in poetischer, assoziativer Form das Gefühl, die Innensicht von Hikikomori-Erkrankten versucht zu vermitteln – sprachlich, musikalisch, bewegungsmäßig. Der Text entstand/entsteht weiter in einer Art Ping-Pong zwischen Sophie Reyer und Thyl Hanscho. Übrigens, so der Zweitgenannte, auch das Text-Schreiben sei eine Art Hikikomori-Stadium einer Autorin oder eines Autors. Allein, zurückgezogen mit deinem Computer.
Weiblich und männlich
Regisseur – und Theaterdirektor – Jakub Kavin hat, wie er im KiKu und schauTV-Interview sagt, „bewusst eine Frau und einen Mann beauftragt, den Text zu schreiben, weil je mehr du dich allein mit dir selbst einsperrst, desto mehr kommen auch die weiblichen und die männlichen Anteile in dir zur Geltung.“
Auskennerin
Und natürlich lebt das hier nun entstehende Stück auch davon, dass die Solistin aus Japan kommt, die Sprache kann und die Kultur mit ihrem extremen Leistungsdruck und der Scham, darüber zu reden, also dem Mix, der Hikikomori gedeihen lässt, kennt.
„Außerdem war ich selbst irgendwie auch eine Hikikomori. Nicht ganz, aber so halb ungefähr“, gesteht sie dem Kinder-KURIER in einem ersten Gespräch über die Entwicklung des Stücks – schon vor unserem Probenbesuch. „Zwischen 15 und 18 Jahren war das. Da hat viel von der japanischen Mentalität, immer nur sehr gut zu sein und funktionieren zu müssen, nicht so gepasst für mich. Ich wollte schon gut sein in der Schule, ehrgeizig. Aber ich hab mich dazu zwingen müssen. Ich hab dann oft gar keine Kraft mehr gehabt, nicht einmal zum Schreiben“, schildert sie ihre harte Zeit. „Wenn ich zu Hause war – in einer kleinen Stadt, Kumagaya City in der Präfektur Saitama, war ich dann ganz zurückgezogen, eben eine Hikikomori. Aber ich war das nicht ganz, weil wenn ich draußen war, war ich gut drauf, mit Freunden unterwegs oft die halbe Nacht.“
Dieses Pendeln zwischen den beiden Welten, aber doch die Erfahrung einer „halben“ Hikikomori sowie das geplante Singen, Tanzen und Musizieren ergibt wohl auch eine gute Basis für diese zwei Seiten ihrer eigenen Persönlichkeit in der Jugend. „Vorbei war’s mit Hikikomori dann, als ich nach Tokio zum Studieren gegangen bin und voll in der Musik zuhause war“, beantwortet sie die Frage, wie sie aus dem doch quälenden Widerspruch herausgekommen ist.
Nein, die Figur fühlt sich aber wohl
Zurück zu den Proben: Vom Text ausgehend improvisiert die Künstlerin – mit Hinweisen und Anweisungen des Regisseurs – Gefühle der oft schrägen Wortbilder mit ihrer Stimmkunst, aber vor allem auch mit Körperlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Der spannendste Moment in der fast eineinhalbstündigen probe war wohl die Annäherung an die Umsetzung der Textzeile „Das Geschirr stapelpelpellt sich in der Dusche…“ Ein Bild, das eher Schaudern bei Regisseur, Co-Autor und den wenigen anderen im Theaterraum Anwesenden erzeugte. „Nein, diese Figur fühlt sich aber wohl“, widersprach die Sängerin, Schauspielerin und Musikerin. Und so brachte sie das auch von Mal zu Mal mehr und mehr rüber.
Hier nun der schauTV-Beitrag
gedreht von Wolfgang Semlitsch
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