Wissenschafter erforschen die Effekte: Was Tanzen mit uns macht

Conny Kreuter (im Bild mit Michael Schottenberg) ist eine der Teilnehmerinnen am KURIER-Gespräch.
KURIER-Gespräch: Die „komplexe Gehirnleistung“ Tanzen hat vielfache Wirkungen auf den gesamten Organismus und die Psyche.

Lesen ist gut. Wer es regelmäßig tut, reduziert sein Alzheimer-Risiko um 35 Prozent. Kreuzworträtsellösen ist besser. Viermal in der Woche gerätselt, halbiert sich die Wahrscheinlichkeit für eine Demenz-Erkrankung. Tanzen aber ist am besten: Dauerhaft praktiziert, sinkt das Demenz-Risiko um 76 Prozent.

469 Frauen und Männer im Alter über 75 Jahren wurden für diese bereits 2003 publizierte Studie des Albert Einstein College of Medicine (New York) über einen Zeitraum von fünf Jahren untersucht. Auch jene, die Brettspiele (z. B. Schach) liebten oder ein Instrument spielten, erkrankten deutlich seltener an Alzheimer.

Gehirn kann besser regenerieren

Die Studienautoren betonten damals, dass es sich lediglich um eine Beobachtungsstudie mit einer relativ kleinen Gruppe handelt und weitere, größere Untersuchungen notwendig sind. Trotzdem, es gibt viele ähnliche Hinweise: Gesellschaftstänze sind „eine komplexe, aber dafür umso lohnenswertere Gehirnleistung“, wie es der Neurologe Thomas Berger von der MedUni / AKH Wien formuliert. Denn Tanzen kann unter anderem die „neuronale Plastizität“ anregen – die Fähigkeit des Gehirns, sich selbst zu regenerieren und erneut zu strukturieren.

„Sehr hohes Niveau“

„Sie können laufen gehen, Rätsel lösen, Koordinationsübungen machen, Musik hören. Oder Sie tanzen – denn das verbindet all das Genannte auf einem sehr hohen Niveau“, sagt die Sportpsychologin Mirjam Wolf von den Tirol Kliniken. Sie ist einer der Gäste beim großen KURIER-Gespräch „Tanzen für Herz, Hirn und Happiness“ am 2. Mai in Wien.

Details zu den Referenten und zum Veranstaltungsort finden Sie hier:

„Beim Tanzen werden drei Ebenen gleichzeitig angesprochen: Die geistige Gesundheit, die Herz-Kreislauf-Fitness und das psychische Wohlbefinden.“

„Das Erlernen von Schrittfolgen fördert die geistige Flexibilität und gleichzeitig auch die Koordination– beides nimmt im Alter ab, wenn man es nicht trainiert“, betont Wolf.

Gleichzeitig könne die Musik die Stimmung verändern – mit positiven Effekten auf Blutdruck, Herzrate oder Atmung: „In einer Studie aus dem Jahr 2010 haben mehr als 90 Prozent der Teilnehmer angegeben, dass Tanzen ihnen bei der Bewältigung der vielfältigen Belastungen des Tages hilft und gleichzeitig zur Entspannung beiträgt.“

Mehr Selbstvertrauen

Und das hat langfristige Folgen, sagt Wolf: „Sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen konnte durch regelmäßiges Tanzen eine Stärkung des Selbstbildes, des Selbstwertgefühls und des Selbstvertrauens nachgewiesen werden.“

Überdies werden die soziale Integration und das Zusammengehörigkeitsgefühl gefördert.

Wissenschafter erforschen die Effekte: Was Tanzen mit uns macht

Nachgewiesen sind auch positive Effekte für die Herz-Kreislauf-Gesundheit: „Ein erhöhter Body-Mass-Index sinkt, ebenso die Konzentration von Blutfetten. Ausdauerleistung und Muskelkraft steigen hingegen.“ Die Verbesserung der Koordination und des Gleichgewichts beim Gehen hat einen wesentlichen Effekt bei älteren Personen: „Ihre Sturzgefahr wird gesenkt.“

Neue Initiative

Insgesamt sei aber die Evidenz, der wissenschaftliche Nachweis für einzelne Effekte, noch unzureichend, betont Sportpsychologin Wolf. Es bedürfe weiterer Studien, um die Auswirkungen des Tanzens auf das Wohlbefinden ganzheitlich zu erfassen. Das ist auch ein Ziel der neuen Initiative „Tanzen hält gesund“ der Österreichischen Tanzschulen.

Wissenschafter erforschen die Effekte: Was Tanzen mit uns macht

Sie will die bereits bekannten gesundheitsfördernden Wirkungen des Tanzens in der Öffentlichkeit vermitteln und weitere Studien dazu anregen.

Neurologe Berger: "Speziell Gesellschaftstanzen - egal, ob jemand jünger oder älter ist - scheint nicht nur zur physischen, sondern auch zur geistigen Fitness beizutragen - und schlussendlich zur Steigerung der Lebensqualität, ein Lebensziel, nach dem wir doch alle trachten."

"Balsam für Körper, Geist und Seele"

95 Jahre alt ist die wahrscheinlich älteste Tanzleiterin von „Tanzen ab der Lebensmitte“. Österreichweit gibt es an 1000 Standorten (u. a. Volkshochschulen, Seniorenorganisationen, Pfarren, Pflegeheime) zumeist wöchentliche Treffen mit insgesamt rund 25.000 Teilnehmerinnen (rund 85 %) und Teilnehmern (15 %) ab 50 Jahren.

„600 Tanzleiterinnen und Tanzleiter sind nach einer entsprechenden Ausbildung zertifiziert“, sagt Karl Hömstreit, Vorsitzender des Landesverbandes NÖ. „Tanzen ist Balsam für Körper, Geist und Seele.“

Ob Gruppen-, Paar- oder Kreistänze zum Beispiel: „Bei uns steht die Gehirnarbeit im Mittelpunkt. Wer bei uns mitmacht, bleibt geistig rege, das beobachte ich sehr oft. Tanzen ist ein Jungbrunnen für ältere Menschen.“

Nähere Informationen: www.tanzenabderlebensmitte.at

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