Unter den körpereigenen Botenstoffen, die die Kommunikation zwischen Zellen, Gewebe und Organen aufrechterhalten, ist Histamin quasi der Jedi-Ritter. Mit vielen positiven Qualitäten ausgestattet, hält der wirkmächtige Stoff unseren Organismus in Schwung. Doch wie bei der berühmten Star-Wars-Vorlage kann es sein, dass es auf die dunkle Seite wechselt und – als molekularer Darth Vader – das System destabilisiert und für Intoleranzen sorgt.
Zunächst wird Histamin als sogenanntes biogenes Amin vom Körper selbst produziert und in den Blut- und Gewebszellen gelagert. Dort harrt es in Rufbereitschaft aus: Dringen z.B. Infektionen oder Allergieauslöser ein, versetzt es als Signalüberträger den Organismus in Abwehrmodus.
Die dabei blitzartig freigesetzten Mengen an Histamin beteiligen sich am Entzündungsprozess, mit denen der Körper auf schädliche Reize reagiert. Unter anderem erweitert es dabei die Blutgefäße, damit das betroffene Gebiet stärker durchblutet werden kann. Symptome wie Rötung, Schwellung, Überwärmung oder Schmerz machen sich bemerkbar. „Entzündungen per se sind ja etwas Positives. Sofern sie nicht chronisch werden und nicht mehr abheilen, helfen sie, dass sich unser Körper selbst heilen kann“, erklärt Ariane Hitthaller, Ernährungswissenschaftlerin aus Linz und im Expertenteam von www.histaminbase.at, einer Onlineplattform, die über Histaminintoleranzen informiert.
Etwa 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung leidet an Histaminintoleranz – mit einem Anteil von 80 Prozent sind vor allem Frauen betroffen
Hinzu kommt, dass das Amin neben der Immunabwehr auch andere Stützpunkte im Körper besetzt: So stimuliert es die Magensaftsekretion und mischt sich bei Appetitkontrolle und Darmbewegungen ein. Als Neurotransmitter redet es beim Schlaf-Wach-Rhythmus ein Wörtchen mit; es ist an der Steuerung des Zentralnervensystems beteiligt, unterstützt die Lernfähigkeit des Gedächtnisses und beeinflusst Emotionen. „Kurzum: Jeder von uns hat Histamin im Körper – und braucht es auch“, so die Expertin.
Der Stoff entsteht aber nicht nur in Eigenproduktion, sondern wird auch von außen zugefügt: vor allem durch den Verzehr histaminhaltiger Speisen und Getränke. Zu finden ist er etwa in lang gereiftem Hartkäse, in Meeresfrüchten, Tomaten, Nüssen und Hülsenfrüchten (vor allem Kichererbsen und Sojabohnen), in Schokolade oder Alkohol. Über den Darm wird das so aufgenommene Histamin resorbiert.
Zu Problemen kommt es, wenn die individuelle Toleranzgrenze überschritten wird. Bemerkbar macht sich das anhand verschiedenster Beschwerden. „Häufig sind es Kopfschmerzen, Migräne, Schwindel, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung, Übelkeit, Bauchschmerzen sowie Herzrasen oder -stolpern“, zählt Hitthaller die Bandbreite auf. „Aber auch Gelenksschmerzen, Müdigkeit, Schlafstörungen oder Probleme mit den Atemwegen.“ Viele Menschen würden etwa beim Konsum histaminhaltiger Rotweine mit Hautrötungen und aufsteigender Hitze reagieren, da Histamin ja die Durchblutung fördere. „Handlungsbedarf besteht aber erst, wenn diese Symptome häufig auftreten und unsere Lebensqualität einschränken.“
Zu einer Intoleranz kommt es für gewöhnlich aus zwei Gründen: wenn eine vermehrte Zufuhr von Histamin den Organismus überfordert und/ oder wenn ein Mangel an Diaminoxidase vorliegt. Aufgabe dieses Enzyms ist, das durch die Nahrung zugeführte Histamin abzubauen. Damit gelangt der Stoff erst gar nicht in die Blutbahn und es kommt zu keiner überschießenden Reaktion. „Wie viel Histamin wir individuell vertragen, hängt von mehreren Faktoren ab“, so Hitthaller – und das könne sich in den verschiedenen Lebensphasen wieder ändern: „So vertragen wir zum Beispiel in stressigen Zeiten Histamin schlechter. Gerade wenn wir etwas schwächeln und Histamin uns Probleme macht, ist es daher sinnvoll, die Zufuhr über die Ernährung etwas zu drosseln.“
Wie viel Histamin wir vertragen, hängt von mehreren Faktoren ab und kann sich in verschiedenen Lebensphasen ändern.“
von Mag. Ariane Hitthaller, MSc
Ernährungswissenschaftlerin, www.hitthaller.com
Auch gibt es Hinweise, dass es zu einer Unverträglichkeit kommt, wenn bereits andere vorliegen – wie eine Pollen- oder Nahrungsmittelallergie, Laktose-Intoleranz oder Fructose-Malabsorption (Unverträglichkeit von Fruchtzucker). Eine Risikogruppe, die eher mit Beschwerden reagiert, scheint aber dann doch definierbar: „Interessanterweise sind 80 Prozent der histaminintoleranten Personen Frauen mittleren Alters“, so Hitthaller. „Betroffene Frauen leiden oft an zyklusbedingten Kopfschmerzen und neigen zu PMS und schmerzhafter sowie starker Menstruation. Histamin wird nämlich auch vom Uterus gebildet.“ So berichten ihr viele Frauen, dass sie Histamin vor der Monatsblutung schlechter vertragen.
Bei vielen Schwangeren gehen Allergien wie Heuschnupfen und Asthma zurück oder verschwinden sogar komplett. Der Grund: Ab dem 3. Schwangerschaftsmonat wird in der Plazenta sehr viel Diaminoxidase (DAO) produziert, ein Enzym, das für den Abtransport von Histamin im Körper verantwortlich ist. Da der DAO-Normalwert dabei um das 100- bis 300-Fache überschritten wird, sinkt der Histaminspiegel im Blut deutlich ab. Diese Hyperaktivität soll vor einem frühzeitigen Schwangerschaftsende schützen. Da der Uterus, äußerst sensibel auf Histamin reagiert, wird dessen Einwirkung größtmöglich eingedämmt. Der Friede ist aber nur geborgt. Nach der Geburt stellt der Körper wieder auf "Normalbetrieb" um und damit kommen auch die Allergien wieder zurück.
Andererseits muss nicht jede Blähung oder jeder Bauchschmerz gleich eine Histaminunverträglichkeit sein. „Durch die ganze Diskussion um Intoleranzen aller Art und eventuell fehlende Aufklärung werden auch Ängste geschürt“, so die Expertin. „Manch einer wird sich vielleicht auf unbegründeten Verdacht dafür entschließen, histaminarm zu essen. Das ist kritisch zu betrachten.“ Denn der Versuch, auf eine völlig histaminfreie Ernährung umzusatteln, ist nicht zielführend: Der Stoff kommt in zu vielen Lebensmitteln vor. Sie alle ausschließen, endet in einer viel zu einseitigen Ernährung.
„Es macht mehr Sinn, sich an die persönliche Toleranzgrenze heranzuarbeiten“, so Hitthaller. Und man kann darauf achten, dem Körper alle nötigen Nährstoffe zuzufügen, damit er Histamin gut abbaut: „Ein Mikronährstoffprofil in Form einer Blutanalyse kann gezielt Auskunft geben. Bei der Nahrungsmittelauswahl kann dann darauf geachtet werden, dass Lebensmittel mit ausreichend B-Vitaminen, Kupfer, Zink, Magnesium und Vitamin C gewählt werden. Nicht ganz einfach für den Laien. Ein fachkundiger Experte kann diesbezüglich weiterhelfen.“
Am Ende kann so die Luke-Skywalker-Variante des Histamins aber Darth Vader vielleicht in Schach halten und sich ihrer Hauptaufgabe widmen: dafür sorgen, dass im Organismus alles rund läuft.
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