Rollstuhlfahrer: „Wir dürfen wieder gehen“

Exoskelett: Ein Hightech-Anzug bewegt Menschen mit einer Gehbehinderung – auch emotional.
Von Uwe Mauch

„Es ist für mich jedes Mal ein erhebendes Gefühl“, erklärt Isabella Kovacs, während sie mithilfe ihres speziell ausgebildeten Physiotherapeuten in einen batteriegetriebenen bionischen Anzug schlüpft.

Dann steht sie auf.

Und geht los.

Rollstuhlfahrer: „Wir dürfen wieder gehen“

Ein Wunder? Die gelernte Floristin und Bürokauffrau war gerade einmal zwanzig Jahre alt, als bei ihr Multiple Sklerose diagnostiziert wurde. Und sie war 29, als sie die intensiven Schübe ihrer brutalen Krankheit scheinbar für immer in einen Rollstuhl zwangen. Vor wenigen Wochen durfte die heute 31-Jährige zum ersten Mal ein Exoskelett anlegen – und eine völlig unerwartete Wendung in ihrem Leben empfinden.

Es ist ein Wunder technischer Natur: Neigt sie ihren Oberkörper nach rechts, lösen die Sensoren ihres High-Tech-Anzugs die Bewegung ihres linken Beins aus. Eine Fortbewegung, die gelernt werden will. Die Maschine folgt den Impulsen, die ihre Trägerin setzt. Kein Impuls bedeutet sofort: Stillstand.

Rollstuhlfahrer: „Wir dürfen wieder gehen“

Tränen in den Augen

Heute sagt Isabella Kovacs, während sie behutsam einen Schritt nach dem anderen setzt: „Jedes Mal, wenn ich wieder gehen darf, empfinde ich eine unbeschreibliche Lebensfreude.“

Die Maschine wurde vor vier Jahren von Ingenieuren in den USA entwickelt und im Vorjahr vom Unternehmensberater Gregor Demblin erstmals in Wien präsentiert – der KURIER berichtete. Hier dient sie rund hundert Menschen als Teil einer speziellen Therapie (siehe unten).

Rollstuhlfahrer: „Wir dürfen wieder gehen“

Auch Gregor Demblin, der seit einem folgenschweren Unfall knapp nach seiner Matura bis zu seinen Halswirbeln hinauf querschnittgelähmt ist, nimmt die Therapie in Anspruch. Sie kostet jeden Patienten 90 Euro pro Stunde, ist somit weit entfernt von kostendeckend, jedoch eine große Wohltat.

„Schon in der ersten Stunde habe ich es auf 500 Schritte gebracht“, erzählt der Exosekelett-Benützer. „Da habe ich vor Glück geweint.“ Weil er wusste: „Das wird mein Leben nachhaltig verändern.“

Der 42-jährige Wiener ist als Unternehmer erfolgreich und als Familienvater glücklich. Dessen ungeachtet sehnt er sich seit 24 Jahren nach dem aufrechten Gang. Das Exoskelett stimmt ihn optimistisch: „Wenn alles gut geht, erlebe ich es noch, dass ich mit meinen Kindern auf einen Berg raufsteigen kann.“

Gleich mehrere Vorteile

MS-Patientin Isabella Kovacs pflichtet ihm bei: „Wir dürfen wieder gehen.“ Dabei geht es nicht nur um das Gehen per se: Von der Bewegung profitieren fast alle durch das viele Sitzen in Mitleidenschaft gezogenen Organe und Muskeln: der Verdauungstrakt und die Blase, Beine, Arme, Hüften, Rücken, Hals und Bauch sowie das Herz-Kreislauf-System.

„Und es ist ein besonderes Gefühl, anderen Menschen wieder auf Augenhöhe zu begegnen“, sagt Isabella Kovacs. „Man hat plötzlich wieder viel mehr Mut.“ Nach den Rückschlägen in ihrem jungen Leben sei das nur mit wenigen anderen Glücksmomenten vergleichbar.

Gregor Demblin, der die Exoskelett-Therapie nach Österreich gebracht hat, freut sich indes, dass ausnahmslos alle Anwender von ihrer neuen Bewegungserfahrung angetan waren . Um die Therapie in Österreich anbieten zu können, hat Demblin eine eigene Firma gegründet.

Rollstuhlfahrer: „Wir dürfen wieder gehen“

Weniger Medikamente

Und um mehr Menschen die Geh-Option einräumen zu können, spricht der selten müde Rollstuhlfahrer bei allen Entscheidungsträgern im österreichischen Gesundheitssystem vor, auch bei privaten Firmen.

Als ein weiteres Argument für das Exoskelett führt er ins Treffen: „Seitdem ich ein bis zwei Mal pro Woche trainiere, brauche ich keine Antibiotika und Schmerzmittel mehr.“

Und es wäre nicht Gregor Demblin, würde er nicht bereits zwei Schritte weiter denken: „Heute muss uns noch ein Physiotherapeut beim Gehen begleiten und Rückhalt bieten. Doch wir wollen was Alltagstaugliches entwickeln. Vielleicht sogar in Wien.“

Rollstuhlfahrer: „Wir dürfen wieder gehen“

Daten und Fakten

Die Ausgangslage: In Österreich sind rund 40.000 Menschen auf einen Rollstuhl angewiesen. Gregor Demblin sagt, dass das Exoskelett allen helfen kann: „Eine Stunde Therapie ist acht Mal so effizient wie eine herkömmliche Physiotherapie.“

Das liebe Geld: Wird noch dringend gesucht. Die Verhandlungen mit den großen Gesundheitsträgern stocken im Moment aufgrund des Stillstands in der Politik. Demblin sucht neben Saturn und den Lotterien auch noch private Sponsoren. Wer das Exoskelett ausprobieren will, findet hier Infos: tech2people.at

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