Mehr als fünf Medikamente: Warum das ein Risiko sein kann
Nehmen Sie regelmäßig fünf oder mehr verschiedene Medikamente ein? Ab dieser Zahl an Arzneimitteln sprechen Mediziner von Polypharmazie oder Multimedikation. „Mindestens ein Viertel aller Über-65-Jährigen zählt zu den Polypharmaziepatienten, ab einem Alter von 80 Jahren ist es bereits jeder Zweite“, sagt Andreas Sönnichsen, der seit Oktober 2018 die Abteilung für Allgemein- und Familienmedizin der MedUni Wien leitet. „Bei der Einnahme von mehr als fünf Wirkstoffen ist nicht mehr vorhersehbar, was im Organismus an Wirkungen, Interaktionen und unerwünschten Nebenwirkungen passiert“, heißt es in der deutschen „Leitlinie Multimedikation“.
Eine Studie aus der Notfallambulanz der Uni-Klinik Zürich zeigt die Dimension. Die Patienten hatten im Schnitt 6,6 Erkrankungen, jeder zweite wies „therapeutische Konflikte“ zwischen seinen Erkrankungen und seiner Medikation auf. Bei jedem Dritten waren es „gravierende, unter Umständen lebensbedrohliche“ Therapiekonflikte.
Eine große europäische Studie unter Leitung von Sönnichsen ergab, dass 97 Prozent aller untersuchten Polypharmaziepatienten (10 Medikamente im Schnitt) zumindest einen Fehler in ihrer Medikation aufweisen. „Oft sind es sogenannte Verschreibungskaskaden, die dazu führen, das ein Symptom nicht als Nebenwirkung eines Medikaments erkannt wird.“ Dieses Risiko entstehe vor allem dann schnell, wenn Menschen von unterschiedlichen Ärzten behandelt werden und niemand den Überblick über alle Präparate behalte.
Elektronik hilft
Sönnichsens sieht eine mögliche Lösung darin, dass beim Hausarzt die vollständige Medikation der Patienten zentral verwaltet wird. Dadurch könnten Ärzte auf Datenbanken zurückgreifen, um mögliche Interaktionen und Verschreibungsfehler aufzudecken. In einem internationalen EU-Projekt wurde unter seiner Federführung eine solche elektronische Entscheidungshilfe zur Reduktion von Polypharmazie entwickelt. Auch die Medikamentenliste in der elektronischen Gesundheitsakte (e-Medikation) soll helfen, Doppelverordnungen zu vermeiden.
Rezeptliste hinterfragen
Manchmal lässt sich auch die aktuelle Rezeptliste hinterfragen, betont der Mediziner: Braucht es dieses vorbeugende Schmerzmittel wirklich noch? Ist ein Cholesterinsenker im hohen Alter noch sinnvoll?
Auch bestimmte Osteoporose-Medikamente sollten zum Beispiel nicht länger als vier Jahre genommen werden, weil sie dann ihre Wirkung verfehlen. Der Vorteil eines regelmäßigen Rezepte-Checks liegt für Sönnichsen auf der Hand: „Je weniger Medikamente ich nehme, umso geringer sind die möglichen Nebenwirkungen, und das steigert die Lebensqualität und spart Geld.“
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