Expertin über Impf-Muffel: "Impfungen sind Opfer ihres Erfolgs"
Die schwerwiegenden Folgen von Pocken, Kinderlähmung (Polio) kennt man in Europa praktisch nicht mehr – eine Errungenschaft von Schutzimpfungen im 20. Jahrhundert.
Damit überlebten Millionen Menschen Krankheiten, die früher häufig tödlich oder mit schweren Folgeschäden verliefen. Sie gelten heute praktisch als ausgerottet, Betroffene sind nicht mehr sichtbar.
Neue Probleme
Heute liegen die Probleme im Impfwesen woanders. Zu den Schwachpunkten gehören etwa fehlende Daten, wie viele Österreicher wogegen geimpft sind oder die zunehmenden Bedenken, sich impfen zu lassen.
Davon zeugen wieder häufiger auftretende Infektionskrankheiten wie Masern oder Keuchhusten. Durch geringe Durchimpfungsraten wirkt der „Herdenschutz“ nicht mehr.
So funktioniert der "Herdenschutz" am Beispiel Masern:
Irrglaube
„Impfen sollte schon aus diesen Gründen selbstverständlich sein. Es ist ein Irrglaube, dass jede Krankheit durch Antibiotika oder Intensivmedizin geheilt werden kann“, betont Susanne Schmid, Internistin und Präsidentin des Bundeselternverbands.
Die Österreicher gelten trotz Gratis-Impfprogramm für alle Kinder bis 15 Jahre in Europa als Impfmuffel – zumindest bei manchen Impfungen, etwa gegen Grippe. Die Gründe dafür sind vielfältig. Schmid nennt unter anderem die Verunsicherung vieler Eltern. „Sie wollen ja das Beste für ihr Kind und neigen dazu, ihm vermeintlich gefährliche Impfungen ‚ersparen’ zu wollen.“
Dazu seien sie heute durch das Internet mit einer Informationsflut konfrontiert, die ihnen als medizinische Laien die Unterscheidung zwischen tatsächlichen Fakten und „Fake News“ erschwere.
Rolle der Schulärzte
Eine wichtige Rolle kommt den Schulärzten zu. „In den Schulen findet häufig der letzte Impf-Check vor dem Erwachsenenalter statt, aber momentan sind die Schulimpfungen österreichweit nicht einheitlich geregelt“, kritisiert Renee Gallo-Daniel vom Verband der österreichischen Impfstoffhersteller. „Die Rolle der Schulärzte müsste beim Impfen stark aufgewertet werden.“
Weigerung aus Haftungsgründen
Immer wieder weigern sich manche Schulärzte aus Haftungsgründen zu impfen. Obwohl das Gesundheitsministerium schriftlich gegenüber der APA darauf hingewiesen hat, dass Haftungsfragen geklärt sind und die Schulärzte kein Risiko tragen würden.
„Impfungen sind zum Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden“, resümiert Heike Galbraith von der europäischen Impfhersteller-Vereinigung „Vaccines Europes“, deren zwölf Mitglieder 80 Prozent aller Impfdosen in Europa produzieren.
Einfach erklärt: 5 Mythen über die Grippeimpfung
Mehr Daten sammeln
Um das Impfwesen in Europa zu verbessern, fordert sie als ersten Schritt ein besseres Monitoring. Das heißt, die EU-Staaten müssten genauere Daten bezüglich Durchimpfungsraten und Wirksamkeit der Impfstoffe erheben. Gallo-Daniel ergänzt: „Auch in Österreich gibt es trotz Kinderimpfkonzept weder bei Kindern noch Erwachsenen detaillierte Zahlen.
Europaweit koordinieren
Wir brauchen detaillierte Erhebungen aller Altersgruppen.“ Auch ein europaweit koordiniertes Bestellmanagement wäre wünschenswert, um Engpässe bei Impfstoffen zu vermeiden.
Dem Problem der Information und Impfmüdigkeit könnte man mit einer Erweiterung der befugten Berufsgruppen beikommen. In Portugal oder Irland, Frankreich und einigen Schweizer Kantonen funktioniere dies bei saisonalen Impfungen wie gegen Grippe gut, betont Philipp Saiko, Präsident der Wiener Apothekerkammer.
Der Vorteil sei der niederschwellige Zugang, zeigte ein Pilotprojekt in Frankreich. Ein Viertel der in der Apotheke Geimpften hätte den Extra-Aufwand eines Arztbesuchs nicht in Kauf genommen.
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