Entzündliche Darmerkrankungen: Ein "bisschen Diät“ heilt nicht
"Die Menge der Mikroorganismen, die in unserem Darm wohnen, übersteigt die Zahl der Zellen unseres Körpers“, sagt Eva Untersmayr-Elsenhuber – und letztere haben Forscher in Israel 2016 mit immerhin 30 Billionen beziffert: „Wir stehen erst ganz am Beginn, dieses System – das einen großen Einfluss auf uns hat – zu verstehen“, betont die Immunologin, einer der Podiumsgäste beim Gesundheitstalk im Van-Swieten-Saal in Wien-Alsergrund zum Thema „Der Darm – ein sensibles Organ“ mit rund 300 Besuchern. Veranstalter waren der KURIER, die MedUni Wien und die Pharmafirma Novartis.
Risikofaktoren
„15 bis 20 Prozent der Bevölkerung haben in einem Ausmaß Darmprobleme, dass sie deshalb einen Arzt aufsuchen“, betont der Gastroenterologe Walter Reinisch von der MedUni / AKH Wien. Er war in Kanada an einer Studie beteiligt, die anhand der Daten von 150.000 Patienten den Ursachen verschiedener Krankheiten nachging. Im Untersuchungszeitraum hatten 600 Studienteilnehmer eine neue chronisch entzündliche Darmerkrankung (CED) – Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa – entwickelt.
Bei den Ernährungsgewohnheiten zeigten sich vier Risiko- bzw. Schutzfaktoren: „Verarbeitete Fleischprodukte – all das, wo irgendetwas hinzugefügt wird, damit es länger haltbar ist – haben das Erkrankungsrisiko eindeutig erhöht. Auch erhöhter Zuckerkonsum war ein wesentlicher Risikofaktor.“ Erhöhter Salzkonsum erwies sich – überraschenderweise – eher als schützend, und eindeutig ein Schutzfaktor war Obst- und Gemüsekonsum.
Die Art der Ernährung kann Entzündungsprozesse „modulieren“, verstärken oder abschwächen. Auch Dauerstress „kann den Darm befeuern und möglicherweise Auswirkungen auf verschiedene Darmerkrankungen haben“, sagt Reinisch. Aber eine chronisch entzündliche Darmerkrankung kann nicht nur mit Ernährungsverhalten und Stress erklärt – und mit Lebensstiländerungen – therapiert werden. Auch Antibiotika sind, neben anderem, ein Risikofaktor für chronisch entzündliche Prozesse.
Untersmayr-Elsenhuber: „Ein Antibiotikum wirkt gegen alle Bakterien, nicht nur gegen die, die gerade eine Erkrankung auslösen. Wenn wir grundsätzlich gesund sind, dann erholt sich das Mikrobiom wieder. Aber wenn immer wieder Antibiotika genommen werden, wenn wir lieber Wurst und weniger Gemüse essen – dann erholt sich das Mikrobiom nicht so gut.“
Evelyn Gross, die seit 29 Jahren an einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung leidet, wünscht sich, dies auch offen aussprechen zu können – „und dass mein Gegenüber dann damit auch etwas anfangen kann und weiß, dass ich eine ernst zu nehmende Darmerkrankung habe. Eine, die nicht mit ein bisschen Diät und ein bisschen weniger Schoko essen geheilt ist“. Sie wolle auch keine Ratschläge und nicht als Person entwertet werden, betont die Präsidentin der Österreichische Morbus Crohn Colitis Ulcerosa Vereinigung.
Kritisch sehen die Experten im Internet angebotene Tests zur Mikrobiom-Analyse. Untersmayr-Elsenhuber: „Es gibt große EU-Projekte zur Frage, wie man solche Analysen am besten durchführt und vergleichbar macht. Hier ist noch viel Forschung notwendig, bevor man das wirklich auch adäquat auf den Markt bringen kann.“
Reinisch: „Wir können heute anhand des Wissens um die Zusammensetzung des Mikrobioms keine therapeutische Entscheidung treffen. Als Ärzte können wir mit den Befunden derzeit eigentlich nichts anfangen.“ Wichtig sei bei chronisch entzündlichen Erkrankungen eine frühzeitige Diagnose, um Komplikationen verhindern zu können. Die Diagnose erfolgt über Entzündungsbotenstoffe im Stuhl. Bestätigen weiterführende Untersuchungen (Darmspiegelung, MRT) einen Verdacht, ist das Therapieziel nicht bloß, dass es keine Symptome mehr gibt: „Ziel ist, die Patienten entzündungsfrei zu bekommen.“
Sehen Sie hier ein Video des gesamten Gesundheitstalks:
Der erste Gesundheitstalk 2020 wird im KURIER rechtzeitig angekündigt.
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