"Dem Knie zeig' ich’s!": Was bei Arthrose wirklich hilft
55 Jahre alt war der Ex-Skirennläufer Christian Neureuther, als ihm nach einer Meniskus-OP mitgeteilt wurde, dass sein Gelenkknorpel im Knie fast aufgebraucht ist. Ein Schock, an den sich die Skilegende noch heute erinnert: "Der Heilungsprozess verlief viel langsamer als erhofft. Ich konnte mit dem Skischuh nicht einmal mehr in die Skier steigen, ohne mit dem anderen Bein nachzuhelfen."
Neureuther fürchtete um seinen Job als ARD-Skiexperte. Doch dann fasste er einen Entschluss: "Dem Knie zeig' ich’s." Wie wichtig es für Arthrosepatienten ist, nicht den Mut zu verlieren, hat Neureuther in einem Buch zusammengefasst – gemeinsam mit dem bekannten Innsbrucker Kniechirurgen Univ.-Prof. Christian Fink. Er hat Skigrößen wie Aksel Lund Svindal oder Lindsay Vonn operiert.
KURIER: Wann sollte man an Arthrose denken?
Prof. Christian Fink: Wenn ein Knie anschwillt und vor allem morgens wehtut, es zu Anlaufschmerzen kommt und das Gelenk lange braucht, bis es sich eingeht. Oder man merkt, dass Belastungen, die früher normal waren, auf einmal unangenehm werden und länger zu Schmerz führen.
Aber nicht jeder spürt Arthrose gleich stark?
Schmerz wird individuell empfunden, und es gibt bei der Arthrose akute Entzündungsphasen. Man spricht von aktivierter Arthrose, wenn aufgrund des Knorpelabriebs Schwellungen im Gelenk entstehen. Darunter leiden die Patienten unterschiedlich stark. Außerdem bekommt man das mit Kältetherapie, einem Topfenwickel oder mit einem entzündungshemmenden Medikament gut in den Griff. Es muss nicht in einer Katastrophe enden – auch wenn das Röntgenbild immer gleich ausschaut.
Topfenwickel helfen bei Arthroseschmerz?
Absolut. Gerade am Anfang sind sie sehr sinnvoll.
Die Diagnose "Arthrose" ist ein Schock, viele denken, sie könnten gar keine Bewegung mehr machen.
Richtig. Betroffene meiden jede Bewegung aus Angst vor dem Schmerz. Doch wenn ich mich nicht mehr bewege, nehme ich an Gewicht zu und schwäche die Muskulatur, die als Stoßdämpfer fungiert. In Folge wird alles mühsamer und schmerzhafter. Deshalb ist es wichtig, nicht in Lethargie zu verfallen, sondern zu schauen, was man trotzdem machen kann.
Zum Beispiel?
Etwa das Wandern: Meist geht das Bergaufgehen gut, beim Hinuntergehen ist es aber sinnvoll, die Bahn zu nehmen oder Stöcke. Radfahren ist ebenso eine Möglichkeit, aber mit weniger Widerstand. Beim Krafttraining wiederum ist es besser, den Bewegungsraum etwas einzuschränken statt Gewicht zu reduzieren. Also keine Angst vor Belastung, probieren Sie einfach aus, was gut geht.
Im Buch geht es außerdem um die Einstellung. Arthrose wirkt sich auch auf die Psyche aus?
Ja. Wir sehen das oft in Beziehungen. Plötzlich ist einer aktiver als der andere, die Betroffenen können nicht mehr mit. Das frustriert. Es geht um Teilhabe. Deshalb ist es wichtig, eine gute Diagnose zu haben, sodass klar wird, ob man mit konservativen Methoden wie Physiotherapie, Medikamenten und Spritzen weiterkommt oder ob operiert werden sollte. Arthrose ist gut behandelbar, in letzter Konsequenz auch mit einem neuen Gelenk.
Patienten werden oft Heilsversprechen gemacht. Was halten Sie davon?
Arthrose ist im Prinzip nicht heilbar. Alle Therapien, die wir haben, zielen darauf ab, die Symptome zu bessern. Auch wenn das gerne versprochen wird: Der Knorpel wächst nicht nach, egal, was man ins Knie spritzt.
Aber geforscht wird viel?
Ja, gerade im Stammzellenbereich ist einiges zu erwarten. Im Augenblick ist die Wissenschaft aber noch nicht so weit, dass man das wirklich empfehlen kann.
Und Knorpelzüchtung?
Die Knorpelzellzüchtung war lange mit zu hohen Erwartungen verbunden. Sie ist nur etwas bei kleinen, isolierten Schäden, aber nichts für Arthrose. Man muss sich das wie ein Schlagloch in einer Fahrbahn vorstellen, das sich leicht füllen lässt. Weist aber die ganze Straße ausgedehnte Fahrbahnschäden auf, muss man einen neuen Belag machen, Ausbessern hilft nichts mehr. Da sind wir dann bei der Knieprothese.
Bald beginnt die Skisaison, was sollten Menschen mit Knie-Arthrose beachten?
Das Wichtigste ist, bereits jetzt mit einem Krafttraining und Radfahren zu starten. Jetzt ist die Zeit der Vorbereitung. Für Betroffene sind Pausen wichtig, wer eine Woche auf Skiurlaub ist, sollte das beachten. Und sonst gilt: Suchen Sie sich gute Pisten- und Wetterverhältnisse.
Sie wollen mit Ihrem Buch Mut machen – und auch Sie sind von Arthrose betroffen.
Ja, ich habe einen kleinen Knorpelschaden, der im Moment sehr gut kompensiert ist. Aber auch ich habe lernen müssen, meine Aktivität meinem Körper anzupassen. Was mir wichtig ist: Viele Patienten kommen zu mir und jammern, welchen Sport sie nicht mehr ausüben können. Dann sage ich: "Freuen Sie sich darüber, was Sie machen können und trauern Sie nicht immer dem nach, was Sie nicht machen können." Menschen, die das schaffen, sind am glücklichsten mit all den "Behinderungen", die sich im Laufe eines Lebens einstellen.
Volkskrankheit Arthrose: Laut WHO sind weltweit etwa zehn Prozent der Frauen und 20 Prozent der Männer betroffen. Dabei ist die Knorpelschicht der Gelenke in großen Bereichen angegriffen oder zerstört. Schmerzen entstehen, wenn die Dämpfungseigenschaften des Knorpels so stark nachlassen, dass die Belastungen auf den darunter liegenden Knochen zu groß werden. Bewegung ist die einzige Chance, sinnvoll damit umzugehen.
Elementare Bausteine
Das weiß auch der Ex-Spitzensportler Christian Neureuther: "Sport und Bewegung sind elementare Bausteine für ein glückliches Leben. Das gilt erst recht für Arthrose-Patienten." Das Skifahren gab er nicht auf, er veränderte seine Technik, passte Ski und Schuh an: "Seither fahre ich viel aufrechter und mit viel stärkerer Vorlage, suche die weiten Schwünge quer über den ganzen Hang."
Sonst hält er sich vor allem mit Nordic Walken fit: "Das ist die Arthrose-Sportart schlechthin. Nichts entlastet Knie und Hüfte so genial wie diese Stöcke. Die Muskulatur rund ums Knie wird gestärkt und die Ringe rund um die Hüfte bleiben schwach. Eine geniale Ganzkörpersportart."
Neureuther hat im Rahmen seiner Arthroseerkrankung außerdem gelernt, besondere Momente zu genießen. Wenn er etwa mit seiner Frau, der Ex-Skirennläuferin Rosi Mittermaier, mit der Nachmittagsgondel auf den Berg fährt, 15 Minuten zum Rosswank geht und dann zum Gipfelkreuz, um den roten Feuerball langsam untergehen zu sehen.
Buchtipp: "Never give up.Fit und vital mit Arthrose", C. Neureuther, C. Fink, ZS Verlag, € 24,99;
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