Kunstfleisch gegen Klimawandel

epa03813846 An handout picture shows the burger made from Cultured Beef, which has been developed by Professor Mark Post of Maastricht University in London, Britain, 05 August 2013. Post explains that 'the muscle stem cells, taken by harmless biopsy from living cows, are fed and nurtured so they multiply to create muscle tissue. The cells grow into strands, and 20,000 of them get combined to create one burger'. The total cost of the project has been estimated at 250,000 GBP so far. EPA/DAVID PARRY / PA WIRE HANDOUT UK AND IRELAND OUT HANDOUT EDITORIAL USE ONLY
Wie Steaks aus dem Labor den Welthunger vertreiben und das Weltklima retten sollen.

Das, was da am vergangenen Montag um 13 Uhr 13 in die Pfanne geworfen wurde, soll nicht weniger als: die Welt retten. Hofft zumindest Mark Post. Der Wissenschaftler vom Institut für Physiologie von der Universität Maastricht hat aus Stammzellen in der Petrischale Rindfleisch gezüchtet und es in einer PR-Aktion in London als Burger verkosten lassen (der KURIER berichtete).

Hintergrund der polarisierenden Aktion: Der Klimawandel und eine drohende Ernährungskatastrophe. Denn: Der weltweite Fleischkonsum steigt, laut Schätzungen der FAO wird die Weltbevölkerung bis 2050 zwei Drittel mehr Rind, Schwein, Huhn etc. vertilgen. Und dieses Problem versucht Mark Post in der Nährflüssigkeit zu lösen.

Die Viehmast beansprucht nämlich schon heute dreißig Prozent der eisfreien Fläche und fast zehn Prozent des Süßwassers, verursacht ein Fünftel der Treibhausgase. Um ein Kilo Steak auf den Teller zu bekommen, werden 16.000 Liter Trinkwasser verbraucht und so viel klimaschädliches Treibhausgas produziert wie auf einer Fahrt von Wien bis ans Schwarze Meer (siehe Grafik unten). Die Nutztiere fressen alles in allem ein Drittel der Getreideernte weg, damit wir sie nachher essen können.

Mehr Fleisch, mehr Land

Aus Umwelt-Sicht gibt es keinen Zweifel daran, dass die Menschen in den Industrieländern mit ihren Ernährungsgewohnheiten auf einem Irrweg sind. Denn: „Was wir essen, hat großen Einfluss auf den Klimawandel“, sagt Ernährungsökologe Martin Schlatzer. „18 Prozent der Treibhausgase gehen auf die Produktion von Fleisch- und Milchprodukten sowie Eiern zurück. Die Treibhausbilanz von pflanzlichen Produkten ist um den Faktor 10 geringer.“ Würden die Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern genauso viel Fleisch essen wie jene in den Industrieländern, wäre eine um zwei Drittel größere Landfläche nötig.

Mark Post verhehlt nicht, dass es diese Problematik war, die ihm bei der Entwicklung seines Kunstfleisches durch den Kopf gegangen ist. In zehn bis zwanzig Jahren, ist er überzeugt, werde man seine Kreation überall auftischen. Vorerst war aber ausgerechnet eine Österreicherin die Erste, die öffentlich in das Laborfleisch beißen durfte: Ernährungsexpertin Hanni Rützler. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Zukunft der Ernährung, hat Post unlängst auf einer Tagung in Turku getroffen und ihr Interesse an dem Thema angemeldet. Außerdem hat Österreich eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet von „Fleisch aus der Retorte“: Die Internet-Initiative „Future Food“ propagiert pflanzliche Alternativen zu tierischen Produkten und möchte die Forschung im Bereich „In-vitro-Fleisch“ beschleunigen.

Auf die Frage, ob sich die – auch sehr kostspielige – Forschung in diese Richtung lohnt, meint Vorkosterin Rützler: „Das Problem ist nun einmal, dass unser Fleischkonsum viel zu hoch ist. Diese Ernährungsweise kann nicht weltweit kopiert werden. Dafür fehlen die Ressourcen. Da kann man nur nach Alternativen suchen, Vegetarier werden oder weniger Fleisch essen.“ Sie wisse, dass diese Technologie gerade im deutschsprachigen Raum kritisch betrachtet werde. „Aber die Züchtung von Muskelfasern ist angesichts der Nachhaltigkeitsdikussion beim Fleischkonsum eine interessante Idee.“ Es sei ihr wichtig gewesen, diese Diskussion anzustoßen.

Kunstfleisch gegen Klimawandel
Denn: Der weltweite Fleischkonsum steigt, die Ressourcen dafür fehlen aber. Eine Österreicherin ist die Erste, die öffentlich in das Laborfleisch beißen durfte: Ernährungsexpertin Hanni Rützler. Hat es Ihnen gemundet, Frau Rützler? „Naja, nicht wirklich. Es fehlt an Salz und Pfeffer.“ Es sei ihr aber wichtig, diese Diskussion rund um Nachhaltigkeit beim Fleischkonsum anzustoßen.
Rützler hatte übrigens keine Skrupel, in den Labor-Bürger zu beißen: „Es ist auch nicht grausig. Es sind ja nur gepresste Muskelfasern. Natürlich löst ein im Labor erzeugtes Fleisch vielerlei Fantasien aus.“ Und Diskussionen: Sind wir wirklich zu verfressen für unsere Welt? Und glauben Wissenschaftler ernsthaft, dass sie es besser können als die Natur? Politiker könnten das annehmen: „Wir werden von dem Aberwitz abkommen, ein ganzes Huhn zu züchten, um die Brust oder den Flügel zu essen, und diese stattdessen in einem geeigneten Medium züchten.“ Das hat jedenfalls Winston Churchill geschrieben. 1931.

Bleibt zum Schluss nur jene Frage, die alles bewegt, wenn es ums Essen geht: Hat es Ihnen gemundet, Frau Rützler? „Naja, nicht wirklich. Es fehlt an Salz und Pfeffer.“

Kunstfleisch gegen Klimawandel

Überheblich. In der ersten Protest-Reihe gegen den Retorten-Burger werden vor allem Gourmets, Öko-Schützer und Panikmacher zu finden sein. Diese drei Gruppen dürfen nicht in einen Topf geworfen werden, doch eint sie die reflexartige Ablehnung einer Lebensmittel-Entwicklung, die futuristischer klingt, als sie ist. Wie konnten Gourmets jahrelang der „Molekularküche“ (biochemische Prozesse bei der Zubereitung von Speisen) applaudieren, um jetzt gegen ein hundsordinäres Labor-Laberl zu rebellieren? Wie können Gemüseesser, deren Nahrung zum Teil seit Jahren in laborartigen Gewächshäusern zur Welt kommt, dagegen sein? Es handelt sich um Fleisch, aus einer natürlichen Zelle gewonnen – das sei auch jenen gesagt, die sofort „Gefahr“ rufen. Künstlich ist nur die Unterstützung des Wachstums. Was das Fleisch fettfrei macht. Was bedeutet, dass sich kein Schwein mehr vor dem Schlachtschuss anmachen und keine Kuh auf zu engem Raum stehen muss. Und dass keine Wälder für Viehzucht geopfert werden.

Das Argument, Fleisch sollte einfach teurer und eben nicht immer verfügbar sein, möge man mit armutsgefährdeten Österreichern und Ländern mit ausgeprägter Hungersnot diskutieren.

Neue Werte. Geklontes „Faschiertes“, entstanden im Labor, mag für den Forscher Mark Post ein ethisches Anliegen sein, um den schon jetzt überbordenden Fleischkonsum in den Griff zu bekommen.

Die Lösung für dieses globale Problem kann nicht in der Petri-Schale liegen. Auch wenn dafür echte tierische Zellen verwendet werden – was am Schluss auf dem Teller liegt, ist ein designtes Konsum-Produkt. Entstanden in einem absolut unnatürlichen Herstellungsprozess. Louis de Funès wetterte 1976 im Film „Brust oder Keule“ satirisch gegen Kunst-Essen, das zur Gewinnmaximierung aus dem Labor kommt. Weit haben wir’s gebracht: Knapp 40 Jahre später kommt der Burger. Sicher, Massenproduktion und -tierhaltung hat nur mehr wenig mit dem ursprünglichen Bauernhof zu tun. Wir müssen auch nicht mehr zurück in die angeblich „gute, alte Zeit“, die ohnehin nur verklärt wird.

Was wir für die Zukunft brauchen, sind neue Werte, ein neues Denken. Fordern wir Lebens-Mittel, die diesen Namen verdienen. Und fangen wir gleich bei uns selbst an, den Fleischkonsum zu reduzieren, statt gebannt auf die „Sensation aus dem Labor“ zu schauen.

Sollte das Fleisch aus Stammzellen je marktreif werden, wäre vor dem Verkauf „ein sehr strenges Zulassungsverfahren“ notwendig, sagt Klaus Riediger von der AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit). Als „neuartiges Lebensmittel“ müsste es nach der „Novel-Food“-Verordnung der EU zugelassen werden: „Auf wissenschaftlicher Basis muss nachgewiesen werden, dass der Verzehr gesundheitlich unbedenklich ist und nicht zu Ernährungsmängeln führt.“ Als „Novel Food“ gelten neuartige Lebensmittel und -zutaten, die vor dem 15.5.1997 noch nicht in nennenswertem Umfang in der EU für den menschlichen Verzehr verwendet wurden, erklärt Riediger: Viele Studien (z. B. über die Verträglichkeit, Allergierisiken, toxikologische Untersuchungen) wären notwendig: „Sämtliche Risiken für die Gesundheit müssten ausgeschlossen werden.“ Ein solches Verfahren kann durchaus mehrere Jahre dauern, ehe die EU-Kommission eine Entscheidung trifft.

Weitere Infos

Kommentare