Mainstream-Falle
Just in seinem Jubiläumsjahr – 1919 wurde der Likör von zwei venezianischen Brüdern auf der Internationalen Messe in Padua vorgestellt – erschien in der New York Times ein Artikel mit dem unmissverständlichen Titel „The Aperol Spritz Is Not a Good Drink“ (Aperol Spritz ist kein guter Drink, Anm.), in dem die Autorin ihrer Abneigung freien Lauf lässt: „Serviert in riesigen Weingläsern, paart sich der süßliche Aperitif mit Sodawasser, Billig-Prosecco und einer Orangenscheibe in Übergröße“, heißt es da – das Ergebnis trinke sich „wie ein Capri Sun nach dem Fußballtraining an einem heißen Tag. Aber nicht auf eine gute Art.“ Das Eis verwässere den Geschmack, der Likör sei zu süß, zu klebrig.
Freilich vermag es nicht einmal die honorige New York Times, den Niedergang eines Aperitif-Giganten herbeizuschreiben; der Beitrag macht aber deutlich, dass der Kräuterlikör auf Basis von Rhabarber, Blutorange, Zucker, Chinarinde und Enzian hundert Jahre nach seiner Entstehung in der Mainstream-Falle gefangen ist. „Ich würde niemals einen Aperol Spritz bestellen“, sagt Patrick Burger, Chef der Cocktailbar Cocobello, als ihn der KURIER um eine Aperol-Bestandsaufnahme bittet. Zu gefällig sei der Geschmack, der gesamte Drink „charakterlos“, der Mix keine hohe Kunst: „Das ist circa so, als würde ein Reisebüro-Mitarbeiter nicht gerne verreisen.“
An seinem früheren Arbeitsplatz, der Bar Italia, hat Burger den Durchbruch des Drinks live mitbekommen. 2008, erinnert er sich, war der italienische Likör noch ein Ladenhüter, pro Jahr wurde eine Flasche geleert. Dann kam der Sommer 2009, und die Stadt wurde orange. „Plötzlich haben alle Aperol Spritz bestellt. Am Anfang haben wir gar nicht gewusst, was das ist, also haben wir einfach einen Weißen Spritzer mit Aperol aufgefüllt.“
Nach der Markteinführung durch die Barbieris – sieben Jahre sollen sie an der streng geheimen Rezeptur getüftelt haben – blieb der Likör vorerst eine regionale Spezialität. Massentauglich wurde er erst, als ihn die Italiener in den 50ern mit Prosecco spritzten. Diese Kulturtechnik hatten sie sich bei österreichischen Besatzern abgeschaut, die ihr Bier mit Soda verdünnten – der Zusatz „Sprizz“ kommt also von „Gespritzt“. Irgendwann geriet der Aperitif in Vergessenheit. Bis ihn der Mailänder Spirituosenhersteller Campari 2004 in sein Portfolio übernahm.
Dank einer aggressiven Marketingkampagne, die vor allem urbane 20- bis 35-Jährige ansprechen und den Spritz als Lifestyledrink etablieren sollte, gingen die Verkaufszahlen bald durch die Decke. Mehr als 30 Millionen Liter Aperol werden jedes Jahr verkauft, achtmal so viel wie vor der Übernahme. Tendenz: steigend.
Was macht Hugo?
Das Ende der Ära Aperol wurde schon oft angekündigt, besonders dann, wenn neue In-Cocktails aufpoppten: Erinnern Sie sich an Inge (Prosecco mit Ingwersirup), Helga (Prosecco mit Himbeersirup) oder Oskar (Avaro mit Grapefruitsaft und Tonic Water)? Eben. Länger hielt sich Hugo, aber seine Süße (Prosecco mit Holundersirup) trifft auch nicht mehr ganz den Zeitgeist, philosophiert Burger. Ein Viertel seiner Barbesucher schlürft Aperol Spritz, daran hat er sich gewöhnt, daran wird sich so schnell nichts ändern. „Der Aperol verkörpert ein Lebensgefühl, er gehört einfach dazu.“
Ähnlich sahen das die Leser des New York Times-Artikels. Auf Twitter verteidigten Unzählige ihren Lieblingsdrink, der zwar nicht der beste, aber eben kultig, süffig, simpel sei. Man müsse den Spritz als das nehmen, was er ist: ein bodenständiges Getränk in komplizierten Zeiten.
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