Wenn die Chefin den Laden schupft

Auszeichnung für die Steirereck-Chefin.
Der Restaurantführer Gault&Millau kürt die Steirereck-Chefin mit dem "Service Award 2018".

"Die Frau Reitbauer kocht zu Hause, weil der Herr Reitbauer am Wochenende zu faul ist" – Birgit Reitbauer lacht, wenn sie über ihre arbeitsfreien Wochenenden zu Hause erzählt. Ihren drei Kindern kocht sich dann am liebsten ein schnelles Gericht wie Brathendl mit Reis. Geht es nach den Kindern, wird allerdings so oft wie möglich Sushi bestellt.

Gemeinsam mit ihrem Ehemann Heinz leitet die gebürtige Niederösterreicherin das Restaurant Steirereck im Stadtpark, das zu den World Best Restaurants zählt und von Gault&Millau mit vier Hauben bewertet wird. Die Noten für die Spitzenköche werden erst kommende Woche verteilt, allerdings gaben Martina und Karl Hohenlohe, Chefredakteurin und Herausgeber des Restaurantführers, bereits jetzt bekannt, dass die Dame des Hauses den Servicepreis des Jahres 2018 bekommt.

KURIER: Was hat die Liebe zur Gastronomie entfacht?
Birgit Reitbauer: Als ich 13 Jahre alt war, war ich mit meinen Eltern am Fuschlsee auf Urlaub: Dort, wo wir gewohnt haben, war die ganze Familie aktiv in der Dienstleistung tätig – und da hat es Klick gemacht. Der Urlaub war für mich der entscheidende Moment, danach wusste ich, das will ich auch machen.

Wenn die Chefin den Laden schupft
Birgit Reitbauer im Restaurant "Steirereck" am 05.10.2017 in Wien.
Wie gefällt Ihnen der Satz "Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau“?
Ich bin keine Feministin – ich bin keine Frau der Quote. Ich würde sagen: Hinter jedem erfolgreichen Menschen stehen ein paar mehr, die unterstützen und ermöglichen, erfolgreich zu sein. In unserem Fall ziehen wir, als Familie und mit unserem Team, gemeinsam an einem Strang.

Sie sagen, Sie seien keine Feministin: Muss man nicht im Jahr 2017 sagen, man ist eine Feministin, wenn man Geschäftsfrau und Mutter ist?
Mich stört, wenn Frauen von außen gesagt wird, was sie brauchen oder was sein müsste. Aber das hat mit unserer Gesellschaft zu tun: Wir wählen heute – Frauen haben durchaus Möglichkeiten zu entscheiden, welche Partei sie am besten vertritt. Es ist schade, wenn wir Quoten oder Richtlinien brauchen, um eine Gleichstellung zu erreichen. Es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein und von Respekt und Anstand dem anderen gegenüber zeugen.

Quoten bedeuten, dass Frauen bei gleicher Qualifikation bevorzugt werden. Sie sollen die Benachteiligung ausgleichen.
Absolut. Ich sehe es beim Verdienst hundertprozentig so, ich sehe es auch beim Zugang zu einem Job so: Aber manchmal klingt das, als ob man sich um die armen "Hascherln" kümmern muss. Das tut mir als Frau wirklich weh. Es braucht Transparenz, so wie bei Ausschreibungen das Gehalt genannt werden muss. Es braucht eine rundum funktionierende Kinderversorgung, damit Frauen wieder ins Berufsleben einsteigen können. Wir Frauen können doch wirklich viel unter einen Hut bringen, aber es muss die bestmögliche Grundlage dafür auch gegeben sein.

Also braucht es doch Quoten?
Quote ist kein schönes Wort; Es braucht Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung für dieses Thema. Wenn Richtlinien für öffentliche und private Unternehmen notwendig sind, um diese Punkte durchzubringen, ist dies eigentlich schade.

Wenn die Chefin den Laden schupft
Das Restaurant Steirereck im Wiener Stadtpark nach dem Umbau. Wien 20.06.2014.
Sie haben drei Kinder: Wie schwierig war es für Sie, die Kinderbetreuung zu organisieren?
Ich habe meine Mutter, die uns super unterstützt. Als wir in den Stadtpark übersiedelt sind, hat mein Vater noch gelebt und beide Elternteile haben mitgeholfen. Heute schließt meine Mutter Lücken, allerdings sind die Kinder in der Zwischenzeit auch wahnsinnig selbständig. Es war über die Jahre sehr oft klar, wenn sie etwas machen wollen, dann müssen sie sich selbstständig organisieren. Ob Fußball spielen oder Pfadfinder-Treffen, es war nicht immer möglich, dass wir die Kinder zu allen Freizeitbeschäftigungen führen.

Ihr ältestes Kind ist 13, ihr jüngstes ist zweieinhalb Jahre alt: Sind Eltern heute übervorsichtiger als früher?
Ich könnte es nicht sagen. Es ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Man muss loslassen können – es ist eine Frage der Kontrolle. Wenn ich Kinder hinbringe und wieder abhole, dann habe ich sie unter Kontrolle. Eltern müssen sich fragen, ob das sein muss: Was will ich mit Kontrolle erreichen, was will ich verhindern?

Wenn die Chefin den Laden schupft
Sie gelten als Rolemodel: Karriere, Erfolg, funktionierende Familie, liebender Partner. Haben Sie manchmal einen Abend, an dem sie denken "Ich schaffe das alles nicht mehr"?
Natürlich denke ich manchmal darüber nach, warum gewisse Dinge nicht so funktionieren. Bei den Kindern wundere ich mich teilweise, wie unterschiedlich sie sein können. Man wünscht sich, dass Ihnen bei manchen Sachen der Knopf aufgeht und – ja –, dass es in der Schule besser funktioniert. Es ist nun mal nicht immer so. Mit solchen Momenten muss man auch umgehen lernen. Seinen persönlichen Ehrgeiz zurückstecken. Aber natürlich, wenn man die schönsten Plätze der Welt sieht, dann denkt man sich "Da will ich auch einmal hinfahren" – vier Wochen Urlaub, ein Traum... Aber wenn man Unternehmer fragt, warum sie so erfolgreich sind, dann wird die Antwort sein: Es ist viel Einsatz notwendig.

Der Manager ist vielleicht angestellt und hat fünf Wochen Urlaub – Sie und Ihr Ehemann gönnen sich nur zwei bis drei Wochen.
Die Frage ist doch eher, wie verbringt man die Zeit, die man zur Verfügung hat. Wenn wir im Sommer auf der Alm in Kärnten sind, eine Woche ohne Telefon und Strom, dann ist das für uns der schönste und erholsamste Urlaub. Das hat eine unglaubliche Qualität und lässt uns nichts vermissen.

Es gibt in der Gastronomie Fälle von Burn-out oder sogar Suizid unter Spitzenköchen: Wie halten Sie die Balance?
Das klingt jetzt ein bisschen plakativ, aber ich glaube, dass man auf seinen Körper hören muss. Ich bin ein Mensch, der mit sehr viel Druck und Vollgas leben kann. Man muss versuchen, gewisse Dinge nicht an sich heranzulassen. Ich hatte vergangenes Jahr einen Vor-Schlaganfall: In der Sekunde, als es passierte, wusste ich, was es ist. In den Wochen danach habe ich darüber nachgedacht, ob ich darauf Einfluss hätte nehmen können, dass es erst gar nicht passiert. Der Arzt hat damals gesagt: "Nein, Sie sind gesund, Sie sind jung, es war ein blöder Zufall." Ich versuche, nicht alles auf die große Waagschale zu legen.

Menschen ändern nach so einem Ereignis oft ihre Lebensweise oder ihre Einstellung zum Leben: Denken Sie heute anders?
Ein bisschen vorsichtiger und bewusster bin ich im Denken geworden. Man hört genauer hin, wenn der Körper mit einem spricht. Solch eine Erkrankung passiert schließlich auch Spitzensportlern, ist eine Summe von Faktoren. In Wahrheit ist es so: Wenn es einem gut geht, ist man großzügig in seinem Tun. Ich bin damals ein paar Wochen leiser getreten, hatte aber das Gefühl, dass ich mein Team im Stich lasse.

Wenn die Chefin den Laden schupft
In die Küche kann der Gast nach wie vor einen Blick werfen. Zwei Spülen wurden entfernt, damit die Kochmannschaft mehr Platz bekommt. Die Küche im Eingangsbereich dient nun ausschließlich für die Endfertigung der Gerichte.
Die Gastronomie jammert gerne darüber, dass es so schwer ist, Personal zu finden. Wie sehen Sie die Situation?
Der Arbeitsmarkt hat sich verändert: Alle Branchen haben das gleiche Problem, dass es sehr schwer ist, Nachwuchs zu finden; manche meinen, dass jungen Menschen die Vision fehlt. Früher waren viele Dinge vorgegeben, wie dass man sich so schnell wie möglich selbst erhalten muss. Vielleicht sind junge Menschen heute einfach auch überfordert angesichts der vielen Möglichkeiten. Ich möchte heute nicht vor der Wahl stehen müssen.

Liegt es nicht auch daran, dass in der Gastronomie ein rauer Umgangston herrscht, oder an den Arbeitszeiten?
Man muss sicher stressresistent sein, da wir in direkter Konfrontation mit dem Gast stehen. Ich verstehe aber zum Beispiel nicht, warum wir in Österreich so an starren Arbeitszeiten festhalten. Wenn man den Mitarbeitern vorschlägt, vier Tage arbeiten, drei Tage frei, dann sagen viele "Super". Die Mitarbeiter sollen doch die Wahl haben. Es braucht in diesem Bereich einfach mehr Flexibilisierung. Als Unternehmerin ist mein oberstes Ziel, zufriedene Mitarbeiter und Gäste zu haben: Was hätte ich denn in der Dienstleistung davon, wenn diese unzufrieden sind? Wenn wir es nicht schaffen, dass unsere Mitarbeiter gerne arbeiten, werden wir auch nicht gemeinsam erfolgreich sein.

Wenn die Chefin den Laden schupft
Es ist etwas anderes, wenn man sich als Unternehmer für seine eigene Firma ausbeutet.
Klar, als Selbstständiger ist es etwas anderes, da geht man auch über seine Schmerzgrenze. Man darf die Diskussion nicht immer auf die Arbeitszeiten herunterbrechen: Es ist natürlich schön für die Mitarbeiter, wenn man wie bei uns am Wochenende frei hat und sein Berufsleben gut mit Familie und Freunden vereinbaren kann.

Bei Ihnen gehen Politiker und Promis ein und aus: Wer ist ein guter Gast?
Was uns mit all unseren Gästen eint, ist die Leidenschaft und Freude am Genuss. Insofern haben wir nur gute Gäste. Politiker kommen und gehen – der Stammgast bleibt.

Info: Der Gault&Millau 2018 und der Gault&Millau Wein-Guide 2018 sind ab 20.10. im Handel erhältlich – die besten Restaurants finden Sie am 19.10. um 18 Uhr auf kurier.at/genuss sowie am 20.10 in der Tageszeitung KURIER

Birgit Reitbauer wurde am 25. Dezember 1974 in Stockerau geboren und wuchs in Langenzersdorf auf. Ihre Eltern arbeiteten beide in der Textil-Branche. Bereits als Teenager wollte Reitbauer in die Gastronomie und entschied sich für die Tourismusfachschule Modul, wo sie maturierte.

Bevor sie den Servicebereich des Hauben-Restaurants "Steirereck" übernahm, arbeitete sie für Do&Co und die Kurkonditorei Oberlaa. Aktuell hält das Restaurant bei vier Hauben und zählt zu den Top 10 der Welt. Mit Ehemann Heinz Reitbauer hat sie drei Kinder (13, 11, 2 Jahre).

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