Entwicklungshilfe auf dem Teller

Simpel, aber opulent und ein Fest für den Gaumen: Die Gerichte unserer Großmütter befriedigen unsere Sehnsucht nach "echtem" Geschmack
Wie österreichische Wirtshäuser afrikanischen Bauern helfen, sich selbst zu versorgen.

Traditionelles Essen aus der Region statt exotischer Lebensmittel, die durch die halbe Welt reisen: Dieses Konzept findet zunehmend Anhänger. Warum Waldviertler Scheckerln und Gockelhahn eine Renaissance erleben, erklärt Barbara van Melle, Sprecherin des Netzwerks „Slow Food Austria“.

Entwicklungshilfe auf dem Teller
Barbara Van Melle, honorarfrei, Slow Food, Terra Madre
KURIER: Bluttommerl, Heidensterz, Klachlsuppe: Sterben diese traditionellen Gerichte unserer Großmütter aus?
Barbara van Melle:
Sie sind leider schon verschwunden. Wir leben in einer unsicheren, globalisierten Welt. Wir spüren eine Sehnsucht nach Traditionen und nach authentischen Lebensmitteln. Es muss nicht immer die Weihnachtsgans oder der Rindslungenbraten sein. Man darf diese Sehnsucht nicht romantisieren, sie ist nicht rückwärtsgewandt. Deswegen stellen Restaurants im Dezember traditionelle Gerichte in den Mittelpunkt (siehe unten). Sie spenden pro Gericht 50 Cent bis einen Euro an das Slow-Food-Projekt „1000 Gärten in Afrika“.

Was will Slow Food mit diesen Gärten bewirken?
Ein Garten kostet 900 Euro. Wir geben den Menschen ursprüngliches Saatgut, Werkzeug und Know-how. Es geht nicht nur darum, dass sie eigenes Gemüse anbauen. Wir geben ihnen ihre Ernährungssouveränität zurück. Das ist ein globaler Kontext: Das Heil der Menschheit liegt nicht in Gentechnik und industrieller Landwirtschaft.

Gerichte wie Bluttommerl, also Blutkuchen, stammen aus Zeiten, als die Bauern das ganze Tier nach dem Schlachten verwertet haben. Werden wir jemals zu diesen Wurzeln zurückkommen?
Das ist ein Ziel von Slow Food. Nirgends sehen wir unsere Wertehaltung so deutlich wie am Umgang mit Tieren. Wenn Fleisch teurer wird, dann können wir es uns gar nicht mehr täglich leisten. Dann dürfen wir wieder ehrlich von einem Sonntagsbraten sprechen. Leider haben Köche verlernt, ganze Tiere zu verwerten. Genau das müssen wir wieder lernen. In Österreich essen wir zwar Blunzen, aber wir müssen noch weiter gehen – von der Nase bis zum Schwanz. Meine große Leidenschaft ist, den Menschen Kochen beizubringen. Es ist gut, dass unsere Kinder Mathematik und Sprachen in den Schulen lernen, aber Kochen und der Umgang mit Lebensmitteln sind auch sehr wichtig.

Gibt es ein vergessenes Gericht aus Ihrer Kindheit?
Ja, Topfenhaluschka, ein burgenländisches Gericht. Meine Mutter hat eigentlich traditionell steirisch gekocht, aber dieses Gericht aus der k.-u.-k-Zeit gab es auch bei uns. Dafür braucht man guten Speck, Bröseltopfen, Sauerrahm und Fleckerln.

Slow Food listet bedrohte Lebensmittel in der „Arche des Geschmacks“ auf. Welche Produkte kommen demnächst dazu?
Erdäpfel namens Waldviertler Scheckerln, Kritzendorfer Ribisel und Leithaberger Edelkirsche. Wir kooperieren mit der Stadt Wien und bepflanzen eine Biofläche der Stadt mit fünf seltenen Erdäpfelsorten, für die wir extra Saatgut vermehrt haben. Slow-Food-Erdäpfel gibt es übrigens im Bio-Handel zu kaufen. Der Lebensmittelhandel hat erkannt, dass es nicht nur mehlige und speckige Erdäpfel gibt.

Wie finden Sie es, dass es seltene Paradeisersorten oder Gockel in Supermärkten gibt?
Das ist der größte Trend, der von Trendforschern schon lange vorausgesagt wurde. Bio hat durch die Globalisierung sehr viel Kritik einstecken müssen. Viele Bio-Lebensmittel haben einen doppelt so langen Transportweg, diese CO2-Bilanz wollen kritische Konsumenten nicht akzeptieren. Zuletzt haben wir bei der Saatgut-Debatte auf EU-Ebene gesehen, dass sich die Konsumenten auf Biodiversität besinnen. Bio wurde von der Vielfalt abgelöst.

Vielfalt kostet. Trotzdem sind Supermärkte Verbündete?
Slow Food will aufzeigen, dass regionale Produkte durch die Globalisierung bedroht sind. Wir haben nur eine Chance, wenn nennenswerte Mengen in den Vertrieb kommen. Ein Landwirt hat mir erzählt, dass er früher die seltenen, unverkäuflichen Erdäpfelsorten eingeackert hat. Ein höherer Preis ist Ausdruck für Wertschätzung.

Barbara van Melles Rezept für Topfenhaluschkas hier zum Download.

Bohnenzuspeis’ also. Klingt doch gleich viel heimeliger als etwa „Ragout von der Bohne“, womöglich noch mit allerlei speziellen Zusätzen wie „getrüffelt“. Mit der Bohnenzuspeis, die im Burgenland traditionell „Buil“ heißen, liegt man im östlichsten Bundesland aber so oder so richtig. Die sättigenden Bohnen werden hier schon seit jeher mit Vorliebe verkocht.

Kein Wunder, dass sie hier auch bei den diesjährigen „Terra Madre“-Aktionswochen im Burgenland eine Hauptrolle spielen. Ausgewählte Mitgliedsbetriebe von Slow Food Austria setzen noch bis 31. Dezember auf typische, traditionelle Gerichte aus ihrer jeweiligen Region. Sie spenden pro Gericht zwischen 50 Cent und einem Euro an das aktuelle Slow-Food-Projekt „1000 Gärten in Afrika“. Damit soll der Bevölkerung nicht nur die Eigenverantwortung über ihre Ernährung zurückgegeben werden. Gleichzeitig stärkt das Projekt auch die örtlichen Gemeinschaften und bewahrt altes Wissen.

An der Restaurant-Aktion nehmen neben dem Burgenland auch Gastwirte in Niederösterreich, Oberösterreich sowie der Steiermark teil. Übrigens setzt auch die Haute Cuisine auf Nachhaltiges auf dem Teller. Im Burgenland ist etwa das Gourmetrestaurant Taubenkobel mit dabei.

Und auch in Oberösterreich lässt es sich im Restaurant „Seeside“ im Hotel „Das Traunsee“ in Traunkirchen herrlich regional speisen. Auf bodenständige Küche mit dem „Mühlviertler Gold“ Leinöl setzen auch Georg und Petra Friedl, die in Feldkirchen zum „Mühlvierteln“ einladen.

www.slowfoodlinz.at

www.slowfoodburgenland.at

Kommentare