100 Jahre Mitropa: Rindsrouladen im Speisewagen

Die Mitteleuropäische Schlaf- und Speisewagen AG ist längst untergegangen, aber die Sammler handeln noch immer mit Keramikwaren von einst.

Grüner, brauner, blauer Rand, Tasse, Kännchen, Zuckerzange: Die Mitropa ist überall. Besser gesagt: Das Geschirr, mit dem die Mitteleuropäische Schlaf- und Speisewagen AG (Mitropa) jahrzehntelang Kaffee und Hackbraten servierte. Im Internet handeln Sammler mit den Keramikschätzen von einst – denn die Mitropa selbst ist längt untergegangen.

100 Jahre nach ihrer Gründung bleibt von dem Konzern, der mal Zehntausende Beschäftigte hatte, nur die Erinnerung: an Rindesrouladen im Speisewagen, an die Trockenhaube beim Bahnhofsfriseur und Nächte in Mitropa-Hotels an Flughäfen und Autobahnen.

Heute sagt kaum noch jemand "Speisewagen", die Deutsche Bahn spricht von "Bordrestaurants" und "Bordbistros". Sein Nachtzug-Geschäft gibt der Konzern jetzt an die ÖBB ab, doch immerhin: Inzwischen besinnt sich die Deutsche Bahn wieder der Bedeutung des Essens auf Rädern. So wie vor 100 Jahren wird es aber nicht mehr werden.

Vor 100 Jahren wurde die Mitropa gegründet

Am 24. November 1916 wurde die Mitropa gegründet. Über die Jahrzehnte wuchs die Mitteleuropäische Schlaf- und Speisewagen AG zu einem Konzern heran, der Reisende in Deutschland und teilweise Österreich und der Schweiz versorgte. Der Schlaf- und Speisewagen betrieb, Hotels und Raststätten. Die Suche nach den Überbleibseln des Unternehmens gestaltet sich schwierig.

100 Jahre Mitropa: Rindsrouladen im Speisewagen
epa00146492 Two women leave the office building in which the travel organisation Ameropa is headquartered, in Bad Homburg, Germany, on Wednesday 3 March 2004. The announcement of Deutsche Bahn to sell Ameropa comes a day after Deutsche Bahn said it would sell its gastronomy company Mitropa to the British Compass group. Ameropa organises travels and coach trips across Europe and operates truck stops on motorways. EPA/Arne Dedert
Die Deutsche Bahn hat die Mitropa vor zwölf Jahren mit noch knapp 2.000 Beschäftigten verkauft. Die Namensrechte gehören heute der Eschborner Gesellschaft Select Service Partner (SSP) – einem Unternehmen, das kaum jemand kennt, obwohl jeden Tag Zehntausende Bahn- und Flugreisende bei ihm essen oder einkaufen: Es führt als Franchisenehmer Restaurants von Burger King bis Pizza Hut.

Denn die Mitropa und ihre bordeauxroten Wagen sind zwar weg. Doch die Bahnhöfe sind noch da – und angesichts wachsender Reisendenzahlen sind das gute Standorte, auch wenn deutsche Bahnpassagiere vergleichsweise knauserig sind, wie die britische Konzernmutter im Geschäftsbericht bemerkt. "Wir repräsentieren einige der weltweit bekanntesten und vertrauenswürdigsten Gastronomiemarken", betont SSP. Die Mitropa aber wird als "inactive company" geführt.

Mitropa: einer der größten DDR-Betriebe

Die Kaffeekännchen und Alulöffel von einst, die Speisekarten und Reklameschilder gibt es noch. Sie finden sich in Inseraten und Ausstellungen, von denen manche nostalgisch sind, andere auch ostalgisch. Denn im geteilten Deutschland gab es die Mitropa nur in der DDR. Die Bundesbahn im Westen hatte ihre eigene Speisewagengesellschaft. Die Mitropa als einer der größten DDR-Betriebe, bekochte sogar Ausflugsschiffe und Flugzeuge. Zum Ende der DDR hin aber gab es immer häufiger Kritik an Angebot und Service.

Die Band Goyko Schmidt punkte sich in den 90ern durch die verblichene Mitropa-Welt und ließ sie nicht gut aussehen: mit warmem Bier, bitterem Kaffee, Stasispitzeln und – immerhin – Honecker-Witzen. Refrain: "Und alle essen Bockwurst."

Den besonderen Klang ihres Namens hatte die Mitropa vor dem Zweiten Weltkrieg erworben. Da gab es Rheinlachs im berühmten Rheingold-Zug, Clubsessel und Silbergeschirr. Mitropa servierte auch bei der Lufthansa und der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft. Ein dunkler Fleck auf ihrer Geschichte bleibt der Ausschluss jüdischer Gäste aus den Speisewagen in der Nazi-Zeit.

Nach der Wende schien es lange, als schenke die Bahn der Gastronomie an Bord nur wenig Beachtung. Kühlschränke und Kaffeemaschinen fielen aus, Reisende gewöhnten sich daran. Wiederholt überlegte der Konzern, die Speisewagen abzuschaffen.

Fahrendes Restaurant – kein Fernbus kann mithalten

100 Jahre Mitropa: Rindsrouladen im Speisewagen
BILD zu OTS - Die neuen Speisewagen der ÖBB: Die ÖBB werden für ihre Kunden in den nächsten zwei Jahren 45 Speisewagen von Grund auf erneuern. Die ersten vier neuen Speisewagen sind bereits fertig gestellt und mit den Zügen der ÖBB für die Kunden unterwegs.
Doch seit sich der Bahn-Vorstand mit dem Programm "Zukunft Bahn" gegen die Konkurrenz durch Fernbusse, Billigflieger und das Auto stemmt, besinnen die Manager sich darauf, dass Komfort Kunden bringt. Und dazu gehört das Speisen auf Reisen. Nun sollen Entstörungsteams verhindern, dass ein ICE mit geschlossenem Bordrestaurant durch die Republik fährt, was auch den Umsatz fördern soll. Überhaupt: Ein fahrendes Restaurant – da kann kein Fernbus mithalten.

"Vor 100 Jahren waren es die weiß eingedeckten Tische mit Silberbesteck"

Der große Glanz wird in die Speisewagen aber wohl nicht zurückkehren. Man müsse mit der Zeit gehen, heißt es bei der Bahn. "Vor 100 Jahren waren es die weiß eingedeckten Tische mit Silberbesteck", sagt eine Sprecherin. "Heute ist es ein Restaurant für alle." Gekocht wird an Bord schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Man wärmt auf. Bodenständig ist das Angebot auch heute: Schweinebraten, Klopse, Maultaschen. Zu den beliebtesten Gerichten zählen Chili und Curry-Wurst. Bei der Bahn heißt es, Geschäftsleute nähmen gern Eintopf, Frauen Salat.

Auch Angela Merkel hatte einmal ihren besonderen Mitropa-Moment. Leicht verlegen steht sie auf der Bühne, im wehenden Sommerrock, und gibt die Julia aus "Romeo und Julia". Ihr Gegenüber schmachtet: "Ich liebe Dich – und überlasse Dir meine letzte Mitropa-Kaffeemaschine." Vor 25 Jahren gewann Hape Kerkeling die heutige Bundeskanzlerin für diesen Klamauk (youtube-Video ab Minute 8:24). Auch schon wieder lange her.

Kommentare