H., der Herr, geht
Natürlich weiß ich, dass man über abgehende Chefs nur Gutes schreibt. Die Abschiedskolumne ist bekanntlich die kleine Schwester des Nachrufs, und auch in Nachrufen ruft man nur das Gute nach, wenn es sich nicht gerade um einen Massenmörder handelt. Ein Massenmörder, so viel lässt sich mit Sicherheit sagen, ist H., der Herr, nicht. Trotzdem kann ich über ihn nicht nur Gutes sagen. Es begann damit, dass er sich, nachdem ich seine Einladung zu dieser Kolumne angenommen hatte, ein KURIER-Filmteam auf den Tennisplatz bestellte und diesem Team den Auftrag erteilte, mich ausschließlich bei Ballwechseln zu filmen, bei denen ich eher sehr schlecht aussah. Auch wenn ich unter Eid zugeben müsste, dass jeder anderslautende Auftrag das Filmteam vor eine unlösbare Aufgabe gestellt hatte: Ich merkte die Absicht und war verstimmt. Verstimmt war ich auch, als bereits die ersten 13 Zeichen meiner ersten freizeit-Kolumne sein Versprechen, dass er sich jeden inhaltlichen Eingriffs in meine Texte enthalten würde, zur Makulatur werden ließen. „H., der Herr,...“ hatte ich geschrieben, und H., der Herr, bestand darauf, dass ich das änderte. Er fühlte sich angesprochen, typisch Journalist eben. Und ich, typisch Journalist, akzeptierte den Eingriff und änderte auf „H., ein Herr, ...“. So funktioniert heute unabhängiger Journalismus: Du akzeptierst die Verkehrung dessen, was du schreiben wolltest, ins Gegenteil, und tust so, als ob du dich durchgesetzt und die Ehre des Berufsstandes auf Jahrhunderte hinaus gerettet hättest. Nachdem er mich bei der allerersten Gelegenheit gebrochen hatte, war er aber sehr großzügig. Ein Herr eben, allzu viele von der Sorte gibt es ja nicht mehr. Jetzt geht er. Was bleibt mir angesichts des geschilderten Beginns, als ihm zu folgen?
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