Geruch und Erinnerung

Wer an stabilen Beziehungen interessiert ist, tut gut daran, sich mit einem Stinker zu arrangieren.

Dass unsere Beziehungen ganz entscheidend durch das Faktum der olfaktorischen Kompatibilität oder eben Inkompatibilität gesteuert werden, ist seit langem bekannt. Und ja, Rudolf, ich weiß, dass man das auch einfacher sagen kann, wenn man will. Ich will aber nicht. Jedenfalls: Wir sagen „den kann ich nicht riechen“ und meinen es auch ziemlich genau so. Stinker sind eine Qual, während wir dazu neigen, uns in wohlriechende Organismen zu verlieben. Für den Stinker spricht allerdings, dass er uns nicht enttäuschen kann. Das heißt, dass es für Menschen, die an langanhaltenden Beziehungen ohne große sinnliche Amplituden interessiert sind, eine wirkliche Option sein kann, sich mit einem Stinker zu arrangieren. Wie in vielen anderen Dingen auch, spielt in geruchsbezogenen Liebesdingen neben der olfaktorischen Chemie auch die synaptische eine große Rolle, die auf den umgangssprachlichen Namen Erinnerung hört. In Wien zum Beispiel gibt es eine Kaffeehaustoilette, die mich jedes Mal aufs Neue fasziniert. Sie riecht intensiv nach Kaugummi, um genau zu sein nach „Hubba Bubba“, falls es die Dinger noch gibt. Ich möchte damit nicht sagen, dass ich mich aufgrund meiner Erinnerungen an frühkindliche Belohnungssituationen in das Tirolerhof-Klo verliebt hätte. Aber es ist doch interessant, dass ein Ort, der, wie man sagen muss, olfaktorisch eine relativ schlechte Ausgangssituation hat, geruchsmäßig derartig spektakulär aufgerüstet wird und sich so der Gefahr aussetzt, seine Besucher aufs Gröblichste zu enttäuschen. Ich habe jedenfalls nicht zuletzt aufgrund der sinnlichen Erfahrungen, die ich der Tirolerhof-Toilette verdanke, bei mir beschlossen, in Geruchsdingen ein wenig vorsichtiger zu werden. Mit dem Alter wird ja der Umgang mit Enttäuschungen immer schwieriger.

michael.fleischhacker@kurier.at

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