Trend "vertikales Wandern": Was für ein Ausblick!
Zuerst kam das Spazierengehen. Einfach raus, bevor einem die Decke auf den Kopf fällt. Dann: Wandern! Warum eigentlich nicht, wenn man schon draußen ist. Ein bisschen die Natur genießen, ist ja wirklich herrlich, Wiesen, Wälder – und Berge natürlich. Denn ein Trend ist unübersehbar: Wer einmal anfängt, der will hoch hinaus. Steil. Und steiler!
Vertikales Wandern ist angesagt, um eine unvergleichliche Aussicht zu genießen oder auch auf dem Weg hinauf schon die Magie und den Nervenkitzel zu genießen, in der dramatischen Schlucht etwa, so zwischen donnerndem Wildbach in der Tiefe und dem strahlenden Blau des Himmels hoch über einem.
Während das Holz der Stege leise knarrt, dass es einem ein bisschen in der Magengrube kitzelt. In Österreich locken wildromantische Klammen ebenso wie atemberaubend schöne Gipfel. Worauf man achten sollte, damit die Freude eine ungetrübte bleibt, verrät uns ein Experte vom Alpenverein (siehe: „Wandern & klettern: Aber sicherer!"). Vorweg lassen wir uns erst einmal von den berühmtesten und schönsten Wegen der Welt inspirieren. Wege, die wir vielleicht nie betreten werden, deren Bilder und Geschichten uns aber träumen lassen.
Der Weg des Königs
Bis zu 700 Meter tief sind die Schluchten entlang des Desfiladero de los Gaitanes, des „Hohlwegs der Bartgeier“ und der Garganta del Chorro, der „Schlucht der Stromschnellen“. Genau hier plante der Ingenieur Rafael Benjumea y Burín ein System zur Nutzung von Wasserkraft und Winterregen, der per Rohrleitungen abgeleitet wurde. Zum Transport des Materials wurde in schwindliger Höhe aus Holzplanken der Caminito gebaut, das Weglein.
1921 kam der König selbst, ging auf der Brücke über den Chorro, bewunderte die technische Meisterleistung, machte das Weglein in der Provinz Málaga im Süden Spaniens zum Caminito del Rey (siehe auch Cover) und den Ingenieur zum Conde, zum Grafen. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts verfiel der Steg immer mehr, hatte den Ruf des „gefährlichsten Weges der Welt“, wurde aber als Einstieg in die vielen Kletterrouten weiter genutzt. Nach vorübergehender Komplettschließung hat die spanische Regierung um 4,5 Millionen Euro einen neuen Steg knapp zwei Meter oberhalb des alten gebaut, der vor sechs Jahren eröffnet wurde. Der ist noch immer atemberaubend. Aber sicher.
Der Kessel des Teufels
Der Wasserfall selbst ist mit etwa 70 Metern nicht der höchste, größte oder sonst irgendwie rekordverdächtigste Vertreter seiner Zunft. Aber, dieser Auftritt, diese Bühne – und der mehr als spektakuläre Weg dorthin machen ihn zu einem der zehn spektakulärsten Sehenswürdigkeiten der Welt. Zuerst geht’s durch die üppige, immergrüne Vegetation Ecuadors.
Man ist hier zwar auf beinahe 2.000 Metern Seehöhe, aber auch praktisch genau am Äquator, wie der Name des Landes so treffend suggeriert. Dann öffnet sich der grüne Vorhang für eine Hängebrücke über die Schlucht, die aussieht wie die Mutter aller Hängebrücken, die man aus Abenteuerfilmen kennt. Von hier aus sieht und hört man schon, wie der Rio Verde im ungebremsten Fall hinunterdonnert. Über eine Folge steiler Stiegen kommt man dann auf eine Plattform, und dem Kessel, in dem der Rio Verde brodelt und schäumt, so richtig nah. Und manche Touristen schwören, sie hätten mitten in diesen tosenden Wassermassen, ganz unten in der Gischt, einen dunklen Felsen gesehen, der aussieht wie ein Totenkopf. Oder wie der Teufel selbst?
Die Himmelstreppe
„Stairway to Heaven“ in echt? Jawohl, auch das gibt’s. In O’ahu, Hawaii, führen insgesamt 3.922 Stufen auf den knapp 800 Meter hohen Pu’ukeahiakahoe. Klingt für einen Bewohner alpiner Regionen jetzt vielleicht nicht gar so beeindruckend, ist es aber, wenn man quasi direkt von der Meereshöhe aus lossteigt.
Die US Navy hat diese Steighilfe 1942 gebaut, als sie hier eine riesige Sendeanlage für den Funkverkehr ihrer Kriegsflotte betrieben. In den 1950ern wurde die Anlage eingestellt und die Holztreppe durch eine Metallkonstruktion ersetzt. 1987 wurde die gesamte Anlage dann allerdings für die Öffentlichkeit geschlossen. Was wagemutige Einheimische und Touristen nicht davon abhält, sie doch zu erklimmen ...
Geradewegs nach oben
Im kalifornischen Yosemite Nationalpark ist der sogenannte „Half Dome“ der absolute Hit bei „vertikalen Wanderern“. Weil viel vertikaler als auf den immerhin 2.693 Meter hohen Gipfel ist eigentlich nicht möglich.
Wobei, es geht von Anfang an relativ forsch bergauf. Wer die Tour an einem Tag schaffen will, sollte vor Sonnenaufgang starten, mitten durchs Land der Bären, Wölfe und Berglöwen. Dramatisch schön geht es dann an zwei Wasserfällen entlang geradewegs nach oben und noch einmal durch kalifornische Urwälder, bis man am Fuß des „Half Domes“ angelangt ist. Dort kann es sich schon einmal ein wenig stauen, bis zu 800 Kletterer pro Tag geben sich den Adrenalin-Kick. Und der kann wirklich etwas, denn stellenweise geht es fast senkrecht nach oben, und zwar über glatten Granodiorit.
Es gibt zwei Drahtseile, aber die wenigsten Abenteurer haben Gurte oder Sicherungsseile dabei, sondern hanteln sich, so gut sie können, die letzten knapp 150 Meter nach oben. Ungefährlich? Nein. In den letzten 100 Jahren gab es acht Abstürze. Nur, könnte man sagen. Dennoch sind es acht zu viel. Der Ausblick von oben, so sagen diejenigen, die oben waren, übertrifft aber alles, was man als Nicht-Bergsteiger sonst zu sehen bekommt.
Auf zum Lotosblütengipfel!
Der Huang Shan sieht aus wie die Berge in chinesischen Gemälden: unglaublich steil, bizarr und unglaublich schön. Und noch dazu heißt der höchste Gipfel „Lotosblütengipfel“! Dass es so etwas tatsächlich gibt, ist schon ein Wunder. Dass man dort dann auch noch auf Holzstegen in schwindelnder Höhe „spazieren gehen“ kann, macht einen beinahe sprachlos. Ist aber so. Davor gilt es zwar, Treppen zu überwinden. Und zwar einige. Kilometer von Treppen ... aber dafür ist das berühmte „Wolkenmeer“, aus dem am späten Nachmittag nur die höchsten der pittoresken Gipfel herausragen, sogar noch schöner. Und: Wer derart hoch hinaus will, muss eben auch ein bisschen schwitzen.
Wandern & klettern: Aber sicher!
Was ist jetzt aber wirklich ein Klettersteig? Welche Aufstiege kann ich mir zutrauen, wann wird Wandern zum Klettern, wie tastet man sich vernünftig an hohe Höhen heran? „Sobald man seine Hände zum Aufstieg verwenden muss, klettert man“, erklärt Michael Larcher, Leiter der Abteilung Bergsport im Österreichischen Alpenverein. Das kann recht harmlos anfangen, mit Schwierigkeitsgraden 1-2, wie man sie auch auf anspruchsvolleren Wanderrouten findet. „Am besten tastet man sich langsam heran, was die eigene Trittsicherheit, die Schwindelfreiheit anbelangt“, so der Experte. Ab Stufe 3 sollte man ausschließlich mit Seilsicherung unterwegs sein – und als Anfänger gar nicht. Über einen Klettersteig bekommt man allerdings auch schon als Anfänger ein wenig „Wand-Feeling“. Der hat nämlich nichts mit den Holzwegen zu tun, die uns durch diverse Klammen führen.
Am Klettersteig wird, gemäß ursprünglicher Definition, geklettert, und nicht gewandert. „Klettersteige sind durch durchgängige Drahtseile in der Wand gekennzeichnet“, erklärt Larcher. Man zieht sich also quasi am Seil nach oben, gesichert natürlich. Aber dennoch sind es gerade Klettersteige, die viele Einsätze der Bergrettung erfordern: Weil sich Menschen überschätzen, und der Klettersteig doch einiges an Armkraft erfordert. Irgendwann kommen ungeübte „vertikale Wanderer“ dann zu dem Punkt, wo sie einfach nicht mehr weiterkönnen.
Der sicherste Ansatz dürfte also sein: sich nicht selbst überschätzen, sondern langsam herantasten. So, dass man sich zu jeder Zeit sicher fühlt. Nur dann kann man auch die Schönheit der Natur wirklich genießen. Ein erster Schritt dazu ist nicht vertikal, sondern Info auf Augenhöhe. Auf der Homepage des Alpenvereins – und dem YouTube-Channel sind Grundlagen und Tipps für Anfänger und Fortgeschrittene zu finden: www.alpenverein.at
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