Diese kühnen Skischanzen sind schön für den Absprung
Wissen Sie noch, wer die Vierschanzentournee vor einem Jahr gewonnen hat? Nein? Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie ad hoc wissen, wie zumindest die Schanzen in Innsbruck oder Garmisch aussehen, ist bestimmt höher (das unauffällige Ding in Bischofshofen lassen wir auf jeden Fall außen vor). Und das auch, wenn Sie beim diesjährigen Spektakel nicht eingeschaltet haben.
„Was früher die Sakralbauten und im 19. Jahrhundert die Bahnhöfe waren, sind heute die großen Kultur- und Sportbauten, unter anderem: die Skisprungschanzen“, sagt Florian Medicus vom Institut für Architektur an der Universität für angewandte Kunst Wien. Immerhin seien sie von überall sichtbar und deswegen – weil das Ortsbild über das gesamte Jahr prägend – wichtige landmarks. Und wegen ihrer sehr speziellen, ausladenden Typologie würden sie sich – wie einst Kirchtürme – hervorragend als Wahrzeichen eignen.
Wo ließe sich das besser verifizieren als in Innsbruck? Die Stadt wäre ohne der Bergiselschanze, entworfen von der Stararchitektin Zaha Hadid, mit dem markanten organisch-anmutenden Turm wohl nicht mehr vorstellbar. Zurück zum Goldenen Dachl, hieße es. Auch die frei schwebende Olympiaschanze in Garmisch hat es ungeschaut in die Liste der Sehenswürdigkeiten der Region geschafft. Da liegt es nahe, wenn Medicus sagt: „Wir Architekten würden doch in Wahrheit nichts lieber machen, als hin und wieder eine schöne Sprungschanze zu bauen.“
Dabei ist es noch nicht allzu lange her, dass den an sich eher faden Sprungschanzen – Anlauf, Tisch, Aufsprungbahn, Auslauf – so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. „Um 2000 hat es einen bemerkenswerten Sinneswandel gegeben. Da hat man angefangen, Schanzen der 1950er- und 60er-Jahre abzutragen und neu zu bauen. Damit wurde der merkantile Eventcharakter unter anderem fürs Fernsehen inszeniert.“ Mit den neuen Medien sei das noch verstärkt worden. Der einzigartige Charakter der Bauwerke – damit die ‚Marke des Ortes‘ – sei noch mehr in den Vordergrund und, kombiniert mit den Bildern der jubelnden Massen, ins noch bessere Licht gerückt worden. „Es ist dabei wichtig, sich von Schanzen, die ja mehr oder weniger die gleichen Aufgaben erfüllen müssen, zu unterscheiden.“
Was die neuen Anlagen auch allesamt eint: „Sie haben eine bildhafte Struktur, die es versteht, einen marktwirtschaftlichen Mehrwert über das eigentliche Event hinaus zu schaffen.“ In Innsbruck etwa sind im Turm ein Restaurant und eine Aussichtsplattform untergebracht.
Loge für Könige
Die zwei herausragenden Bauwerke sind für Florian Medicus die Bergiselschanze und der Holmenkollbakken über Oslo. Die Anlage am Hausberg der Stadt – entworfen von den dänischen JDS Architects – besticht durch zwei Arme an beiden Seiten, die einerseits Windschutz, andererseits auch Sprungkabinen sowie eine Loge für die königliche Familie Norwegens sind. Auch diese Schanze ist mit einer Aussichtsplattform ausgestattet und ein beliebtes Ausflugsziel.
Der Wettbewerb zum Neubau der Schanze am Holmenkollen war auch ein Meilenstein für das Innsbrucker Architekturbüro LAAC. Beim Bewerb für Oslo belegten sie mit ihrem Entwurf den zweiten Platz. Das Besondere am Entwurf war die Vereinigung von Anlauf, Absprung und Landehügel zu einer kontinuierlichen und organischen Form.
Für eine Schanze im kasachischen Schushinsk bei Astana hatte LACC kurz zuvor etwas ganz Neues und mächtig Spektakuläres gewagt. Und mit dem Entwurf auch gewonnen. Da gehen aus einem Turm gleich zwei kurvenförmige Schanzen hervor, die sich wie ein umgekehrtes V nach unten öffnen. Die Flanken und der Turm haben Ausschnitte und Fenster. „Die feingliedrig unterspannten Stahlkonstruktionen der Anlaufspuren sitzen wie Maschinenteile auf dem Stahlbetonturm und machen den Entwurf zu einem in sich differenzierten Gebäude“, heißt es in der Projektbeschreibung.
Ganz so wie von den Tirolern erdacht, wurde es dann letzten Endes doch nicht umgesetzt. „Wir haben für das Projekt die Entwurfsplanung gemacht. Die Bauherren haben das abgewandelt“, erklärt Frank Ludin vom Büro LAAC. Schon 2006 war mit den Projektplanungen begonnen worden, der kasachische Präsident hat die Anlage 2018 eingeweiht. Die Kosten sollen sich auf 100 Millionen Euro belaufen haben. „Von der grundsätzlichen Konzeption her ist es sehr ähnlich geblieben.“ Mächtig ist das Ding in Realität noch immer – ganz so schick gräulich reduziert und spacig wie auf den Visualisierungen aber nicht mehr.
Raumschiff
Spacig ist auch die Vogtlandschanze im deutschen Klingenthal. Hier gibt es in einer großen ellipsoiden Kapsel einen Wärmeraum für die Athleten. Die Berliner Planer von „m2r-architecture“ wollten es nachts wie ein Luftschiff über die sächsische Landschaft schweben lassen. Damit wollten sie eine Verbindung zur Tradition der Raumfahrt im Vogtland schaffen. Sigmund Jähn, der erste Deutsche im All (er flog für die DDR), stammt aus der Region. Und wie in Innsbruck und Oslo wird die Schanze auch anderweitig genutzt. Die Schienenbahn, die im Winter Springer nach oben bringt, ist im Sommer Aufstiegshilfe für Touristen. Und die Arena eine Eventlocation.
Nachdem jetzt die Leuchttürme ins rechte Licht gerückt wurden, sei hier noch ein subjektiver Tiefpunkt genannt: „Die Skiflugschanze am Kulm und auch ihre Nebenanlagen zeigen leider so gar keine gestalterischen Ambitionen. Aber da sollte sich bald etwas Angemessenes finden und machen lassen“, meint Medicus. Zwar sorgt eine der größten Naturschanzen der Welt für spektakuläre Reichweiten von über 244 Metern und Nervenkitzel, das ästhetische Empfinden reizt sie aber nicht.
Auch sehr schick: Das Montafon Nordic im Tiroler Tschagguns.
Auch sehr schick: Das Montafon Nordic im Tiroler Tschagguns.
Auch sehr schick: Das Montafon Nordic im Tiroler Tschagguns.
Nachdem das auch geklärt ist, soll hier noch die Einstiegsfrage beantwortet werden: Wer war nun der Sieger der Vierschanzentournee 2019/2020? Es war der Pole Dawid Kubacki
Die drei Schanzen Wiens
Nichts gegen Innsbruck oder Oslo. Aber es gab einmal eine Zeit, da war um eine Sprungschanze mehr Stadt (auch wenn es wegen der Hubertusmäntel, Dackel und Kopftücher auf den Straßen nicht unbedingt nach Urbanität ausgesehen hat). Tausende Bewohner pilgerten dereinst zu drei Anlagen in der Stadt (sie gingen in den 1930ern in Betrieb), wo sich Wagemutige hinabstürzten. Eine stand am Hausberg Cobenzl. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte sie wiederbelebt werden.
Die Pläne waren ambitioniert. Adolf Hoch gewann mit seinem Projekt bei den Olympischen Sommerspielen 1948 in London in der letztmals ausgetragenen Disziplin Architektur die Goldmedaille. Die weitesten Sprünge gab es in Hadersdorf-Weidlingau, wo bis zu 70 Meter möglich waren. Und zur Schanze am Himmelhof beim Lainzer Tiergarten konnte man mit der Stadtbahn (bis Hütteldorf) fahren. Sie ging nach Brandstiftung 1980 in Flammen auf.
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