Travelshaming: "Man schaut genauer hin, reagiert stärker bei Regelübertretungen"

Ob auf der Skipiste oder am Strand: Bilder von Menschenansammlungen verstören viele, die zuhause im Lockdown sitzen.
Urlauber in Corona-Zeiten erregen die Gemüter der Daheimbleibenden. Haben wir das Reisen in der Pandemie-Müdigkeit verlernt? Es braucht Reorientierung, sagen Experten.

Ein Herzerl hier, ein Like dort. Bis vor einem Jahr war „Reise-Influencer“ für so manchen jungen Menschen ein erstrebenswertes Ziel. Nun wird man in sozialen Medien fürs Verreisen oder das Posten von Urlaubsfotos auch mal an den digitalen Pranger gestellt. Travelshaming nennt sich der Trend, der in den vergangenen Tagen britische und US-amerikanische Medien beschäftigte. Trägt ein internationaler Star sein Jetset-Leben weiter vor sich her, wühlt das auf. Und Bilder drängelnder Wintersportler vor Skiliften sorgen in Österreich für Zündstoff. Was steckt hinter dem Phänomen: Neid? Sorge vor Ansteckungen?

In Zeiten der Corona-Pandemie „tun sich alle schwer, sich an die Regeln zu halten – es ist mühsam“, sagt Gesundheitspsychologe und Erholungsforscher Gerhard Blasche (Buch „Erholung 4.0 – Warum sie wichtiger ist denn je“, 2020). Es gebe aber eine Empfindlichkeit denen gegenüber, die sich mehr herausnehmen. „Man schaut genauer hin und reagiert stärker bei Regelübertretungen.“

Trotzdem oder vor allem in der Pandemie bestehe das Bedürfnis, einen Ortswechsel zu machen – rauszukommen aus der alltäglichen Misere. Blasche spricht die Bilder gut besuchter Rodelwiesen am Semmering in den Weihnachtsferien an, „das kann man den Leuten nicht verübeln.“

Was derzeit als Verbot gilt, sei ja von außen – von Behörden oder Regierungen – auferlegt. Sobald dieses Verbot wieder weggenommen wird, werden wir wieder reisen, ist sich Blasche sicher. „Aber es wird eine Phase der Reorientierung brauchen – wir haben das Reisen ja fast verlernt!“ Zudem hätten gewisse Teilbereiche der Tourismusbranche eine „negative Färbung“ bekommen, etwa das Après-Ski im Winterurlaub. „Das hat einen fahlen Beigeschmack, da werden wir nicht so zur Tagesordnung übergehen.“

Die Auseinandersetzung mit der Frage, wie man Urlaub und Reisen in Zukunft gestalten soll – Stichwort Massentourismus und Overtourism –, habe sich durch die Pandemie auf jeden Fall beschleunigt. Beim Kongresstourismus habe Blasche selbst gesehen, dass man Tagungen sehr gut auch im Internet durchführen könne. Wie man selbst Travelshaming vermeidet? Blasche pragmatisch: „Einfach nicht an die große Glocke hängen.“

Die Pandemie habe gezeigt, dass vieles unvernünftig ist, bestätigt auch Tourismusforscher Peter Zellmann – „und das hat etwas Gutes“. Information sei – ähnlich wie bei Flugscham – sinnvoll und werde die Urlaubsplanung des Einzelnen zwar künftig beeinflussen, „aber der Mensch will und wird nicht auf Urlaub verzichten“. Travelshaming sieht Zellmann daher als Nischenthema. „Dass ich mich schämen muss, wenn ich an der Adria bin – das geht den Menschen zu weit."

Live zu sehen: Reisemedizinerin Ursula Hollenstein beim großen Online-Reisetag diesen Samstag im Gespräch über Impfen und Reisen: am 16. Jänner ab 10 Uhr (Hollenstein 14 Uhr), alle Programminfos und Livestream auf kurier.at und ferien-messe.at

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