Gallura: Die unbekannte Region zwischen Korsika und Sardinien
Luca Filigheddu hält nach Delfinen Ausschau, den Blick auf die korsische Küste gerichtet, ins möwendurchsegelte Blau. Der sardische Bootsführer ist in der Früh von der Nordküste Sardiniens aufgebrochen. Das Motorboot des 65-Jährigen aus Cannigione zieht einen Streifen ins Aquamarin. Wie der Panzer eines gigantischen Krokodils ragen die Granithügel des Lavezzi-Archipels aus der Meeresstraße auf. Sie sind gemeinsam mit dem sardischen La-Maddalena-Nationalpark Teil eines länderübergreifenden Meeresschutzgebiets. „Wir verstehen uns hier wie drüben gut“,erklärt Filigheddu, „der galluresische Dialekt ist auf beiden Seiten ähnlich, unterscheidet sich aber stark von der sardischen Sprache.“ Tatsächlich verbindet kulturell und geschichtlich die Bewohner der Gallura im Norden Sardiniens mehr mit den Korsen als mit den Sarden.
Sarden oder Korsen?
Sarden oder Korsen? Jedenfalls in erster Linie nicht als Italiener oder gar als Franzosen verstehen sich die Galluresen, obwohl ihre Nationalflagge die italienische Trikolore und ihr Wappentier der gallische Hahn ist. Der Name Gallura, so erzählen sich ihre Bewohner wohl augenzwinkernd, stamme ursprünglich von den Gockeln, die man im nahen Korsika krähen hört. In Wahrheit haben die Galluresen lange schon gelernt, von den Großmächten, die sich immer wieder ihre Küsten einverleibten, stets die augenfälligsten Seiten zu bewahren. Ebenso vielfältig ist die regionale Küche. Von der deftigen Brotsuppe Suppa Cuata über die mit Ricotta gefüllten und Zimtzucker bestreuten Puligioni-Ravioli bis zum edlen Vermentino di Gallura-Weißwein.
Filigheddu lässt den Blick wieder in die Ferne schweifen. Bevor er Touristen als Bootsführer zu den Inseln zwischen Korsika und Sardinien schipperte, war er als Seemann auf allen Weltmeeren unterwegs. Die erste Insel, die Filigheddu ansteuert, ist die flache Île Piana, direkt der Hauptinsel Korsika vorgelagert. Zwar fehlen ihr die spektakulären Granitfelsen ihrer Nachbarinseln, das Meer vor ihrem feinen Sandstrand leuchtet jedoch in einem karibischen Smaragdgrün. Im klaren Meer umschwärmen Hunderte glitzernde Bandbrassen die schnorchelnden Touristen.
Privatinsel der Stars
Direkt hinter der Île Piana liegt die Île Cavallo, „Insel der Milliardäre“, wie Filigheddu verrät, „dorthin kommt man nur mit Genehmigung oder dem Helikopter.“ In den Siebzigern war die Insel ein Hub des Jetsets. Catherine Deneuve und Marcello Mastroianni fanden hier einen abgeschirmten Rückzugsort. Caroline von Monaco und Kronprinz Viktor Emmanuel von Savoyen sollen auf der Insel eine Residenz erworben haben. In letzter Zeit sollen gar Beyoncé und Alicia Keys gesichtet worden sein.Filigheddus Kunden, allesamt Touristen vom italienischen Festland, scheint jedoch die Postkartenidylle der Île Piana als exklusive Badewanne zu genügen. „Wir kommen immer wieder nach Sardinien“, erzählt eine sonnengegerbte Signora aus Verona, „das Wasser ist eben nirgends so klar“. Ihr ist wohl gar nicht aufgefallen, dass sie gerade dem korsischen Meer entstiegen ist. Auf der Nachbarinsel Île Lavazzo entdecken die Italiener noch eindrucksvollere Strandbuchten. Das Eiland darf es durchaus mit den berühmten Fototapeten-Stränden der Seychellen aufnehmen. Zwar fehlen hier die Kokospalmen – das Mittelmeer funkelt jedoch genauso türkis wie der Indische Ozean.
"Nirgendwo ist das Meer so schön wie hier"
„Ich war in Asien, Afrika und Südamerika“, erzählt der Kapitän, „aber nirgendwo ist das Meer so schön wie hier.“ Weil es außer im Tourismus in der Gallura jedoch kaum Arbeitsplätze gibt, ziehen vor allem junge Galluresen immer häufiger weg. Meine Kinder sprechen den Dialekt schon nicht mehr.“
Einer von denen, die geblieben sind, ist Jacopo Andelmi. Der 24-jährige mit dem Samurai-Haarknoten bricht ebenfalls von der galluresischen Küste auf, um einer kleinen Gruppe Touristen den La-Maddalena-Nationalpark zu zeigen – die italienische Seite des Meeresschutzgebiets. „Aus meinem Grundschuljahrgang lebt inzwischen die Hälfte im Ausland.“Andelmi steuert zunächst die Isola Spargi mit ihren funkelnden Sandbuchten an. „Diese heißt Cala Soraya, weil die persische Prinzessin hier so gern badete“, verrät Andelmi. Die berühmte Spiaggia Rosa, nur ein paar Segelminuten weiter auf der Isola Budelli, hat heute allerdings nur noch einen mit viel Fantasie erkennbaren rosafarbenen Schimmer. Ein Einzeller verhalf dem Strand einst zu seiner besonderen Farbgebung und seinem Ruhm. „Zu viele Touristen haben hier immer wieder Sand mitgenommen und beim Auswerfen ihrer Anker die Mikroorganismen zerstört“, klagt Andelmi. Heute ist der Strand daher weitgehend abgesperrt.
Wo sich Budelli und ihre Nachbarinseln Razzoli und Santa Maria fast berühren, hält Andelmi für eine Schnorcheltour an. Etliche Jachten und Motorboote haben sich die geschützte Stelle als Ankerplatz ausgesucht. Einige sind wohl aus Porto Cervo an der Costa Smeralda herübergekommen, dem sardischen Pendant zum Millionärstreffpunkt Saint Tropez. „Im Sommer liegt hier Boot an Boot“, sagt Andelmi, „dann sollte man gar nicht erst herkommen.“ Im September und Oktober, solange das Wasser zum Baden noch immer nicht zu kalt ist, ist für den Sarden die beste Zeit, um den Archipel zu besuchen. Oder im Mai oder Juni, wenn man noch die schneebedeckten Berge Korsikas sehen kann.
„Hier drüben auf Santa Maria hat Roberto Benigni ein Haus“, sagt Andelmi. Er sehe ihn manchmal beim Einkaufen auf der Hauptinsel La Maddalena. Lange vor dem Regisseur und Schauspieler wählte der italienische Nationalheld Giuseppe Garibaldi den Archipel zu seinem Alterswohnsitz. Er starb 1882 auf der Insel Caprera.
Ginge es nach Napoleon, wäre die gesamte Inselgruppe bis dato längst französisch geworden. Der Feldherr scheiterte jedoch. Für die Delfine und Korallenmöwen scheint jedenfalls gleich, wo die Menschen ihre Grenzen ziehen – den Galluresen dies- und jenseits von Sardinien schon aus Tradition. Und wenn bei der nächsten Familienabstimmung über den nächsten Jahresurlaub weder der Kulturtrip in Südfrankreich noch der Badeurlaub in Italien eine Mehrheit erreicht, dann gibt es einen Kompromiss, der alle glücklich macht. Die Gallura wird niemanden enttäuschen – solange nicht Hochsaison ist.
Anreise
Verschiedene Airlines fliegen Olbia auf Sardinien und Figari auf Korsika an. Eine Anreise nach Korsika ist auch mit der Fähre z. B. ab Toulon, Marseille oder Nizza, nach Sardinien ab Livorno oder Civitavecchia möglich.
Der Beitrag zur CO2-Kompensation (climateaustria.at) beträgt 7 €
Unterkünfte
Die von einer galluresischen Familie geführten Delphina Hotels & Resorts vereinen mehrere 4*- und 5*-Hotels an den schönsten Küstenabschnitten im Norden Sardiniens. Vom Valle dell’ Erica hat man einen magischen Ausblick auf
die Inselgruppe des La-Maddalena-Nationalparks.
delphinahotels.de
Essen und Trinken
Im Landhaus Cabu Abbas kann man die vielfältige Küche der Gallura entdecken.
agriturismocabuabbas.de
Veranstalter
FTI hat zahlreiche Angebote zu Korsika und Sardinien im Programm und organisiert auch Ausflüge in das Meeresschutzgebiet der Bouches de Bonifacio und
in den La -Maddalena-Nationalpark.
fti.de
Auskunft
sardegnaturismo.it
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