Die Essenz des Wanderns

Die Essenz des Wanderns
Das Wichtigste am Gehen ist das Stehen, merkt man im Ausseerland. Hier sind die Wege verträglich, die Landschaften lieblich, die Berge dennoch ernsthaft und die Menschen weise.

Manche Wanderer suchen eher die Wege als die Gipfel. Und auch wenn man dem berühmten Loser kaum entkommt, und auch wenn er so majestätisch über der Gegend thront und selbst wenn man ihn wahrscheinlich wirklich einmal raufspazieren muss: Die Hauptdarsteller beim Wandern im Ausseerland sind die Wege, nicht die Gipfel.

Macht man sich beim Loser zum Beispiel auf den Weg zum wunderbar gelegenen Albert-Appelhaus, versinkt man bald in einem Pfad, auf dem es mehr um die Kulisse als um das Ziel geht, dem Karl-Stöger-Steig. „Ganz genau“, sagte dazu einst eine ältere Dame am Hochklapfsattel zum Autor dieser Zeilen: „Man muss nicht nur Zeit zum Anschauen haben, sondern die Zeit, es überhaupt zu sehen.“ Es war eines jener Kurzrast-Gespräche, die man beim Wandern oft führt, Plaudereien ohne Vorstellungsrunde. Hier im Ausseerland sind sie noch häufiger, weil die Menschen oft mehr Zeit haben, sie streben schließlich keinem schroffen Gipfel zu. Ganz im Gegenteil: Die Dame war unterwegs zu einer Geschichtenerzähler-Performance am Gipfel des Redenden Stein. Das ist ein markanter Bergklumpen mit Gipfelkreuz, der einem alpinistisch aber eher nichts zu sagen hat. Sie nehme sich eben die Zeit, eine schöne Blume anzuschauen, sagte die Dame, und setzte noch eines drauf: „Aber zuerst muss man die Blume erst einmal finden. Darauf muss man achten.“

Die Essenz des Wanderns

Erinnerungen an eine Wanderung vor zehn Jahren und an die Gespräche mit Hirten, die ihr Schaf suchten. Und an einen Redenden Stein, der einem aber doch nichts zu sagen hat.

Kurz nach dem Hochklapfsattel, kurz vor dem weiten Kessel der Augstwiese, auf der oft Hunderte Rindviecher weiden, schon wieder ein solches Gespräch, aber anders. Das ältere Paar suchte ein Schaf. Seit vierzehn Tagen. Die beiden Pensions-Hirten gingen seit nunmehr zwei Wochen jeden Tag ihre Runden, um „das verlorene Schaf mit schwarzem Kopf, ein schönes von einer Versteigerung“ zu suchen. Ihr Lächeln und die Antihektik verrieten die beiden ein bisschen: Ihre Suche ist ein Grund, kein Anlass. Sie lieben es, in ihren Bergen zu gehen und sind dem Schaf ein wenig dankbar. Überhaupt schien es an diesem Tag, dass die Ausseer gerne in ihre Berge gehen.

Was der Einheimische aber eher auslässt, sind die fantastischen Übergänge in dieser Region. Der Gosauer bleibt auf der Gosauer Seite, der Goiserer auf der Goiserer, der Altausseer auf seiner und der Grundlseer auf der anderen. Sie versäumen etwas.

Die Essenz des Wanderns

Ziel und Ende

Denn wo man im schroffen Tirol schon gut zu Fuß sein muss, um vom Tal auf der einen Seite auf- und im nächsten wieder abzusteigen, kann man hier über liebliche Wiesen und sanfte Sattel Meter machen. Bricht man zum Beispiel in Gosau zur Goiserer Hütte auf, weiß man noch gar nicht, wie schön die Iglmoos Alm sein wird, die verschlafen auf dem Weg liegt. Man kann sich die feuchten Wälder noch gar nicht vorstellen, die man in der Nase haben wird. Oder wie gut die Kaspressknödeln auf der Hütte sein werden, von der man einen tollen Blick ins Land hat. Und wie man dann zwischen den Latschen bergab stechen wird.

Auch der Weg von Goisern über den Sandling, auch so ein sagenumwobener Gipfel, Richtung Altaussee und Loser. Der vielleicht außergewöhnlichste Übergang ist aber jener, den sonst eher niemand geht: vom Grundlsee auf die Tauplitz. Da muss man sich stückweise zwischen den Wegen zwar durchschlagen, vielleicht muss man im Wald sogar abenteuerlich die Orientierung finden, um wieder auf den richtigen Weg zu kommen – wo selten wer geht, sind die Markierungen blass. Aber wenn man dann durch das Öderntal schlendert, in dem gefühlt noch nie wer war, und wenn man dann an der Ödernalm vorbeikommt, die einem das Gegenteil beweist, und besonders, wenn man den steilen Steig auf die Tauplitzer Alm geht, durch einen knorrigen Wald – dann wünscht man sich mehr solcher Übergänge von einer Bergseite zur anderen. Dann vermisst man keinen Gipfel.

Und man nimmt sich Zeit, die Narzissenwiese neben dem Weg auswendig zu lernen.

Region
Das Ausseerland ist ein Teil des Salzkammergutes und nicht ganz eindeutig definiert. Um viele Plätze und Berge der Region ranken sich Mythen und Sagen, es ist außerdem berühmt für das Narzissenfest, das heuer aber abgesagt werden musste. Info: ausseerland.salzkammergut.at

Schöne Touren
Loser Hütte – Karl-Stöger-Steig – Augstwiesenalm – Albert Appelhaus – Elmgrube: sieben Stunden, albert-appelhaus.at
Oder Gosau – Iglmoos Alm – Goiserer Hütte – Bad Goisern: fünf Std., goisererhuette.at

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