Traunsee: Vom See beseelt
Welchen See sie ihm empfehlen würde, fragte der Suchende die erfahrene Sommerfrischlerin – nennen wir sie Emilie. Sie hat’s schon immer geliebt, an einem Seeufer zu sitzen, wenig zu tun und viel zu träumen. Daher kennt sie auch mehr Seen als viele andere Menschen. Die
türkisfarben-mondän schillernden Natur-Infinity-Planschbecken mit VIP-Status. Die verträumten Lacken, in die man über moosige Stege gleitet. Die stillen Wasser, irgendwo im Wald. Die tiefgrünen und tiefgründigen Badewannen, in denen man für immer schweben möchte. Die eiskalten Bergseen, in denen sich das harsche Grau der umliegenden Felsen spiegelt. Die Giganten, in die abends die Sonne versinkt, als wär’s ein Meer. Etwas mehr als 25.000 stehende Gewässer gibt es in Österreich – Lacken, Teiche, Augewässer, Stau- und Baggerseen. Und viele berühmte Badeseen. Jeder ist anders, jeder auf seine Weise besonders. Emilie, längst in der Mitte ihres Lebens angelangt, musste im Fall des Suchenden nicht lange nachdenken: „Geh an den Traunsee. Er passt zu dem, wonach du dich sehnst.“
Hoch hinauf, tief hinein
Der Suchende hat zuvor vieles erzählt. Dass er sich verankern, wieder Boden unter den Füßen gewinnen möchte und eine Langsamkeit spüren, die ihm die vergangenen Jahre verloren gegangen sei. Nach einem besonderen Ort sehne er sich, an dem er trotzdem das Alltägliche, Normale finden kann und nicht wählen muss, zwischen diesem und jenem Hype. Hoch hinauf und tief hinein, will er – Wälder und Höhenluft atmen, um am späten Nachmittag schwimmen zu gehen, sich intensiv und anders spüren. Danach in ein Badetuch gehüllt, mit einem Glas Wein in der Hand, den Booten und Gedanken beim Dahinsegeln zusehen. Und irgendwann frisch gefangener Fisch, schlicht gebraten oder gegrillt, nur mit Zitrone, Kräutern und frischem Salat. Durchatmen, weinen und lachen. All das und vielleicht noch mehr. „Ich verstehe. Das wirst du hier finden“, sagte die Sommerfrischlerin und lächelte.
Lacus Felix nannten die Römer den Traunsee im Salzkammergut einst – der glückliche See. An Tiefe mangelt es ihm nicht. Seine tiefste Stelle, mit 191 Metern, liegt etwas weiter nördlich der Traunkirchner Halbinsel, beim Westufer, auf Höhe des Traunsteins, dessen Wände am felsigen Ostufer ins Wasser stürzen. Damit ist er der tiefste See Österreichs. Je nach Stimmung wirkt sein Schwarz-Grün bedrohlich – oder eben anziehend. Empfindsam sollte man zumindest beim Schwimmen nicht sein – der Voralpensee ist immer frisch und kommt kaum über die 20-Grad-Marke hinaus. Dafür ist der Blick in die Tiefe gewährleistet – sein Wasser ist wunderbar klar.
Dieser Duft!
Bekannt ist der Traunsee auch für seinen Fischreichtum – allen voran die Reinanke, dazu Saibling, Rotauge, Maräne, Hasel, Seelaube, Elritze, Seeforelle, auch Barsch und Hecht. Und – einzigartig: der Riedling als traunseetypische Rarität, der nur hier oder im sibirischen Baikalsee in die Fischernetze geht. Gegrillt mutiert der kleine Fisch zum „Stanglfisch“ eine See-Spezialität, für die gilt: Sag niemals Steckerlfisch zu ihr. Dafür werden die Fische eingeschnitten, gesalzen, gewürzt und – aufgespießt, mit dem Bauch nach unten – im offenem Feuer schön knusprig gegrillt. Wie das duftet! Die Gräten sind so zart, dass man sie mitessen kann, dazu kommen einfach nur Zitrone, Brot und Bier. Übrigens werden die kleinen Holzstangen mit einem speziellen Messer von Hand geschnitzt.
Verglichen mit dem nahen „Konkurrenten“ Attersee ist der 24,5 km² große Traunsee um 22 Meter tiefer. Durchquert wird er der Länge nach und recht rasant vom Traunfluss, von Ebensee im Süden nach Gmunden im Norden. Ein See in Bewegung also. „Und dennoch ein Ort, an dem du deine Ruhe finden wirst“, verspricht Emilie, die Sommerfrischlerin. Sie rät dem Suchenden, möglichst oft ein Boot zu nehmen. Um am frühen Morgen dem noch stillen Wasser nahe zu sein, wenn über der Seeoberfläche Nebelfetzen hängen. Oder um sich spätnachmittags vom Sommertag zu verabschieden – wenn die Sonne das Wasser, die Wiesen und die Berge in ein sattes Gelborange taucht, das Himmelblau noch intensiver wird, alles glimmt und glitzert. Man vom belebten Westufer dem 1.691 Meter hohen Traunstein entgegenschippert – an die einsame Seite des Sees. Wo sich die Zeit zu dehnen scheint und es mystisch wird. Begriffe wie Macht und Omnipräsenz sind es, die dem Betrachter angesichts dieses Felsmassivs einfallen – ein Klotz, der die Landschaft bereits bei der Anreise, wenige Kilometer nach Linz, dominiert und als „Willkommensgruß des Salzkammerguts“ gilt. Der Traunstein wird gerne als „Schicksalsberg“ beschrieben, auf dem mehr als hundert Menschen ihr Leben gelassen haben, und ein Fabelwesen herumgeistern soll. Schroff wirkt er – er regt die Fantasien und zum Nachdenken an. In seinem Schatten gleitet man mit dem Boot gemächlich an Plätze, an denen der Sonnenuntergang am schönsten ist.
Einsame Badeplätze
Zwei Drittel der Traunsee-Ufer sind unverbaut, vor allem die Ostflanke gilt als stilles Refugium, mit Lindenwäldern, satten Wiesen und einer vielfältigen Fauna. Ein Naturjuwel, das auf seine Art einzigartig und kaum erschlossen ist. Die Sommerfrischlerin Emilie erzählt nun von uneinsichtigen Badeplätzen, die für alle frei zugänglich sind – und an heißen Tagen von emsigen Bootsausflüglern rasch belegt. Beim „Roten Steinbruch“ im Südosten etwa, wo einst Traunseemarmor abgebaut wurde. Oder nahe der „Zeckainsel“, beim Wasserfall des Rötelsees. Als eine der schönsten Buchten gilt die Eisenau, mit ihrer Feuerstelle, den alten Grundmauern einer ehemaligen Jausenstation und Kastanienbäumen.
„Eine Partymeile mit heißen Rhythmen bis zum Morgengrauen wirst du hier eher nicht finden“, sagt die Sommerfrischlerin zum Suchenden. Als einziger großer Ort am See gilt die Kurstadt Gmunden – bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts das Epizentrum des Salzhandels, heute Fixpunkt für jeden Salzkammergut-Besucher (ob mit oder ohne Bus) und ausgeprägte Romantiker. Denn normalerweise wird im Schloss Ort – dem Wahrzeichen der Stadt, das durch die TV-Serie „Schlosshotel Orth“ berühmt wurde – jährlich an die 300 Mal geheiratet. Und wenn dann noch die „Gisela“ über den See gleitet – einer der ältesten Schaufelraddampfer weltweit, seit 1839 in Betrieb – raunen, staunen und knipsen die Besucher. Und ja: Zumindest einen kleinen Krug sollte man aus der weltberühmten Gmundner Keramikmanufaktur als Mitbringsel in den Koffer gepackt haben.
Danach die Weiterreise gen Süden – wo es immer ruhiger wird, über Altmünster in das beschauliche Traunkirchen und zuletzt in den „Industrieort“ Ebensee mit seiner Saline und Fabrik. Der Traunsee galt in der K.-u.-k.-Zeit als beliebter Treff des österreichischen Hochadels. Nostalgiker, wie unsere Sommerfrischlerin Emilie es nun einmal ist, halten hier also besonders oft inne. Weil die Villen und Schlösser Geschichte sind und viele Geschichten zu erzählen haben, über gute Zeiten und schlechte. So manches davon ist anekdotisch, wie etwa die Erzählung vom englischen König Edward VII., der als Gast auf Schloss Traunsee in Altmünster über das Panorama gesagt haben soll: „Einen schöneren Blick habe ich wohl in meinem ganzen Weltreich nicht.“
Wer Ruhe auf gehobenem Niveau schätzt, ist in Traunkirchen mit seiner malerischen Lage am See und dem Vier-Hauben-Restaurant „Bootshaus“ im Hotel „Das Traunsee“ goldrichtig. Hervorstechend die Landzunge vor der mächtigen „Geißwand“, die als Halbinsel in den See hineinragt. Und das 1.000 Jahre alte Kloster im verkehrsberuhigten Dorfkern, wo es seit 2019 ein Refugium für Ruhesuchende gibt (siehe Info). Ein Ort zum Schlendern, Denken, Innehalten. Um wieder in der eigenen Mitte zu landen – oder vielleicht am Dorfplatz, im Zentrum, in der Poststube 1327, bei einem kleinen Bier und einem großen Bratl.
„Warum gerade der See, warum nicht das Meer?“, fragte der Suchende unsere Sommerfrischlerin ein letztes Mal. Emilie dachte nicht lange nach: „Ich kann es dir nicht sagen. Es ist nur ein Gefühl – von tiefer Verbundenheit mit dem, was Heimat bedeutet – und was nicht. Überschaubar und weit zugleich. Als träfe ich mich mit einem Fremden, der mir so vertraut erscheint, als würde ich ihn ewig kennen. Ich lächle ihn an – und er mich, dann reden wir. Schaue ich auf einen See, kann ich aus der Zeit heraustreten, und bleibe trotzdem da.“
Anreise
Klimaschonend mit der Bahn: Von Wien über Attnang-Puchheim, Anschluss an die Salzkammergutbahn Nr. 170 nach Gmunden
Hotels
– „Das Traunsee – Private Suites Kloster Refugium“ – Zimmer oder Wohnung: dastraunsee.at
– Malerischer Seegasthof „Hois’n Wirt“ mit hoteleigenem Badeplatz, hoisnwirt.at
–Seeresidenz Danninger, „adults only“, danninger-traunsee.at
Wandern
Edelweiß-Europaweg auf dem Feuerkogel – 3-Stunden- Wanderung, auch für weniger Versierte, feuerkogel.info.; Wandern in der Kaltenbachwildnis mit Wasserfällen und Schluchten, traunsee-almtal.at
Kommentare