Natur pur: Die heimischen Nationalparks feiern Jubiläum
Man muss kein Bergfex wie Andreas Hollinger sein, um zu wissen, dass das zwei verschiedene Paar Schuhe sind: Stadtmenschen und Landmenschen. Der eine braucht ständig eine Unterhaltung. Der andere schätzt die Ruhe.
Hollinger, der schon im Karakorum-Gebirge kletterte und als Podcast-Sprachrohr des Nationalparks Gesäuse (siehe Bild oben) seine Region zum gut frequentierten Hotspot auf Spotify gemacht hat, aber sagt: „Wir brauchen keine Inszenierung. Uns reicht, wie sie ist.“
Sie, die Natur. Sie ist einfach da, liegt oft genug direkt vor unseren Füßen. Und ist uns dennoch so fremd, dass wir meist nicht genau wissen, wie wir mit ihr umgehen sollen. Daher müssen wir sie schützen, großräumig und konsequent. Etwa durch die Schaffung von Nationalparks.
Sechs davon gibt es in ganz Österreich, beinahe in jedem Bundesland einen: vom Nationalpark Hohe Tauern über jenen in den Kalkalpen, eben dem Gesäuse, den Donau-Auen, dem Thayatal und dem Gebiet Neusiedler See-Seewinkel.
Hier ist Elena Turac mit Herz und Seele Nationalpark-Rangerin. Immer wieder hat die Naturfreundin mit Stadtmenschen zu tun, die es für ein paar Stunden in die Wildnis zieht und die dann gleich großes Kino erwarten: etwa viele Vogelschwärme über dem weiten Schilfgürtel. Am besten bei Sonnenuntergang.
Aber die Bewohner der Natur halten sich nicht immer an die Bedürfnisse der Besucher. „Hoffnungsvoll öffne ich die Gucklöcher der Beobachtungshütte“, berichtet Elena Turac von einer Exkursion mit einem anfangs enttäuschten Ehepaar in „ihrem“ Nationalpark. Denn statt Tieren gab es nur eines zu sehen: „gähnende Leere“.
Blicke und mehr
Wobei das mit der Leere so auch wieder nicht ganz stimmt. Denn in den Nationalparks ist immer etwas los. Man muss nur wissen, wohin man seine Blicke richten soll. Und nicht nur die. In der Natur pur duftet, riecht und raschelt es intensiver als sonst wo. Aber eben auf ganz eigene Weise. „Wir geben Natur Zeit und Raum“ ist nicht zufällig einer der Slogans der heimischen Nationalparks.
Das bedeutet im Umkehrschluss: Auch als Besucher muss man sich Zeit nehmen, mitunter sehr viel Zeit. Die Wiener Naturfotografen Verena und Georg Popp-Hackner können ein Lied davon singen. In den vergangenen zwanzig Jahren haben sie alle sechs heimischen Nationalparks mehrmals besucht. Und sie kennen auch die Mutter aller Nationalparks, den Yosemite National Park in der kalifornischen Sierra Nevada.
Umso mehr wiegt ihr Urteil über den kleinsten Nationalpark Österreichs, das Gebiet rund um das Thayatal im niederösterreichischen Grenzgebiet zu Tschechien. Georg Popp-Hackner: „Wirklich spektakulär, was man im Green Canyon Niederösterreichs auf weniger als 1.500 Hektar zu sehen bekommt.“ Vom Schwarzstorch über den Edelkrebs sowie seltene Pflanzenarten bis zur noch selteneren Europäischen Wildkatze beherbergt das nördliche Thayatal eine Flora und Fauna, die es auch mit exotischen Urwäldern aufnehmen kann.
Rückzugsorte schaffen
Apropos Urwälder. Wie diese leiden ebenso die heimischen Nationalparks unter den Auswirkungen des Klimawandels. Sarah Wendl, Sprecherin der National Parks Austria: „Auch in den Schutzgebieten ist die Veränderung zu spüren. Hier können dann Arten beobachtet werden, welche davon profitieren und wiederum andere, die damit weniger gut zurechtkommen.“
Natürlich mache der Klimawandel nicht an der Schutzgebietsgrenze halt, aber, und davon ist Sarah Wendl überzeugt: „Die Rolle der Nationalparks wird dadurch noch bedeutsamer, da sie für viele Arten wichtigen Lebensraum bewahren und einen geschützten Rückzugsort schaffen.“
Hohe Tiere zum Jubiläum
Als erster österreichischer Nationalpark wurde 1981 der Nationalpark Hohe Tauern gegründet. Und das genau zehn Jahre nach dem Beschluss der Bundesländer Salzburg, Kärnten und Tirol, dafür Gebiete abzutreten. Zum 50-jährigen Jubiläum ist also für den 23. Oktober ein Festakt geplant, in Heiligenblut. Dazu werden natürlich jede Menge Bundesminister, Landeshauptleute und andere hohe Tiere anreisen.
Und die wilden Tiere wie der Steinbock, der „König der Alpen“, die Murmeltiere und der Steinadler? Die werden sich hüten, den Besuchern in die Quere zu kommen. Wobei Besucher natürlich schon willkommen sind, nur eben nicht allzu viele. „Die Frage, wie viel Menschen ein Nationalpark verträgt, ist schwer zu beantworten“, meint Andreas Hollinger vom Nationalpark Gesäuse.
Er wägt ab: „Manchmal verursachen viele Menschen keinen Schaden. Dann wiederum kann ein einzelner Mensch über Leben und Tod entscheiden.“ Etwa, wenn dieser den Bruterfolg der Flussuferläufer auf den Schotterbänken stört.
Merke: Es ist nicht die Anzahl der Menschen, die Probleme verursachen, sondern – und darin sind sich die Mitarbeiter der heimischen Nationalparks einig – deren Verhalten. Wie gut, dass es Menschen wie Elena Turac gibt: Ranger, also Betreuer und Fremdenführer, die Besuchern die Natur und deren Bewohner erklären. Sie bringt auch jene Stadtmenschen, die den Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel mit Pokerface betreten, dazu, dass sie das Burgenland als Naturfreunde verlassen.
Als Freunde, die gerne wiederkommen. Und bis dahin für die Natur zwei Dinge über haben: Zeit und Raum.
Mit über 200 entdeckten endemischen, dh. nur hier vorkommenden Arten ist das Gesäuse in der Steiermark ein echter Endemiten-Hotspot. Am 26. Oktober 2002 gegründet, ist der NP Gesäuse der jüngste der sechs österreichischen Nationalparks.
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