Schildkröten

Ein spannender Moment: Monatelang wurde diese gestrandete Schildkröte gesund gepflegt. Nun soll sie wieder ins Meer entlassen werden und aus eigener Kraft überleben.
Es ist das Mysterium von Cape Cod: In diesem Winter stranden dort so viele Meeresschildkröten wie noch nie zuvor. Engagierte Biologen versuchen gemeinsam mit freiwilligen Helfern die vom Aussterben bedrohten Tiere zu retten und wieder im Meer auszusetzen.

Einen Winter wie diesen hat Bob Prescott noch nie erlebt. Seit 32 Jahren kümmert sich der Direktor des Wellfleet Bay Wildlife Sanctuary in Cape Cod, Massachusetts, um die Rettung von Meeresschildkröten. Mehr als 1.300 Exemplare sind seit vergangenem Oktober dort gestrandet, die meisten gehören der extrem gefährdeten Gattung der Bastardschildkröten an. Würde man sie nicht einsammeln, aufpäppeln und danach wieder aussetzen, wären die Tiere verloren. Und die seltene Art würde aussterben.
„Wir arbeiten wie die Lebensretter von Baywatch“, sagt Prescott. Wenn die Schildkröte lebt, müssen wir sie finden und holen. Jedes Tier zählt. Wir lassen nie eine Schildkröte, die Hilfe braucht, am Strand zurück.“ Der Winter ist die gefährlichste Zeit für die Reptilien, die trotz ihres mächtigen Panzers schutzlos sind. Wenn sie es nicht schaffen, rechtzeitig die hakenförmige Bucht von Cape Cod zu verlassen – das betrifft vor allem junge oder durch eine Krankheit geschwächte Tiere – macht ihnen das kalte Wasser zu schaffen. Sinkt die Temperatur unter 16 Grad, meist geschieht das ab Mitte November, fällt es ihnen immer schwerer sich zu bewegen. „Hypothermie“ oder Unterkühlung ist die Ursache dafür. Die fatale Folge: Die Schildkröten können trotz ihrer wie Paddel geformten Beine und des stromlinienförmigen Panzers keine Schwimmbewegungen mehr machen, nicht mehr steuern und treiben an der Wasseroberfläche. Sie schaffen es auch nicht, zu ihren Futterquellen am Meeresgrund zu tauchen. Ihnen droht ein langsamer, qualvoller Hungertod. Oder Wind und der an dieser Stelle extreme Wechsel der Gezeiten treibt sie immer näher ans Ufer, wo sie schließlich stranden.

Um sie zu retten, müssen die Schildkröten gefunden, eingesammelt, gegebenenfalls gesund gepflegt und aufgepäppelt werden.

Eine Sisyphosaufgabe für Robert Prescott und sein Team vom Mass Audubon’s Wellfleet Bay Wildlife Sanctuary. Eine Aufgabe, mit der er ohne ein kleines Heer von Freiwilligen heillos überfordert wäre. 150 Helfer stehen ihm in diesem Winter zur Seite. Ausgerüstet mit warmer Kleidung und einem GPS-tauglichen Handy gehen diese Volunteers auch bei unfreundlichstem Wetter auf Strandpatrouille und suchen Schildkröten in Not. Sie decken die unterkühlten Tiere mit Seegras zu, markieren die Stelle und geben die Daten des Fundorts durch. So rasch wie möglich kommen die Profis, um ihre „Patienten“ zu bergen und in ihr Tierheim zu bringen. Je später die Tiere gefunden werden, desto geringer die Überlebenschance. Manche Schildkröten werden von den Mitarbeitern der „Turtle-Baywatch-Truppe“ auch in Handtücher gewickelt, in Bananenkisten gepackt und gleich selbst ins Tierspital nach Quincy gebracht. Das war zwischenzeitlich sogar in den Supermärkten von Cape Cod zu spüren: Dort wurden in den letzten Wochen die Bananenkisten knapp.

Die große Anzahl der Tiere in Not überfordert die Helfer dennoch. Mehr als 1.200 Schildkröten waren es in diesem Winter, bereits, in einem normalen Jahr wären es zwischen 70 und höchstens 90 gewesen. Eine Erklärung dafür, warum es heuer so viele sind, haben die Wissenschaftler nicht. Es ist das Mysterium der gestrandeten Schildkröten von Cape Cod.
„Wir würden fünf oder sechs Mal so viel Platz brauchen“, sagt Biologin Conny Merigo. „Unser Ziel ist es, im Sommer jede einzelne Schildkröte gesund wieder in Florida oder auf Long Island in New York in den Ozean zu entlassen.“ Bis das Wasser in Cape Cod wieder warm genug ist – 21 Grad Celsius sollten es mindestens sein – werden sie in einem Aquarium gehalten. Und bis es so weit ist und die Tiere zurück in ihre natürliche Umgebung können, dauert es Monate. Während dieser Zeit wird jede Schildkröte geröntgt und auf Lungenentzündung sowie Dehydrierung untersucht. Dann werden die Tiere zunächst in kleinere Pools entlassen, später in immer größere. Ihre Körpertemperatur wird langsam aber stetig erhöht. Bis sie stark genug sind, um wieder selbstständig im Ozean zu paddeln.
Seit 150 Millionen Jahren leben Meeresschildkröten auf diesem Planeten. Schon mehrfach wären sie um ein Haar ausgestorben. Wenn die Biologen vom Mass Audubon’s Wellfleet Bay Wildlife Sanctuary wie in jedem Frühjahr ausschwärmen, um die geretteten Schildkröten behutsam am Strand auszusetzen und ihnen zusehen, wie sie hinausschwimmen und im Wasser abtauchen, ist das ein wichtiger Schritt um das Überleben dieser Tiere für weitere Generationen zu sichern. Und schön anzusehen ist es natürlich auch ...

Vor 150 bis 200 Millionen Jahren haben sich die Meeres- schildkröten aus Land– oder Süßwasserschildkröten entwickelt. Heute gibt es nur noch sieben Arten, die alle stark gefährdet sind. Sie leben in tropischen und subtropischen Gewässern. Sie paaren sich im Wasser, die Weibchen kommen nur an Land, um ihre Eier abzulegen, die von der Sonne ausgebrütet werden. Bei Temperaturen von 30 Grad aufwärts entwickeln sich eher Weibchen, darunter eher Männchen. Die Eier sind durch Nesträuber gefährdet, aber auch die immer häufigeren Tropenstürme stellen eine Bedrohung dar. Auf dem Weg der Jungen vom Strand zum Wasser werden sie vom Mondlicht geleitet, hier können Autos und Städte zu irritierenden Lichtquellen werden. Haben es die Tiere erst einmal ins Wasser geschafft, droht ihnen ein Schicksal als Beifang bei der Fischerei mit Schleppnetzen. Vielfach werden sie trotz Verboten wegen des Schildpatts ihrer Panzer oder des Schildkrötenleders gejagt.

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