Was es so schwierig macht, online die Liebe zu finden

Was es so schwierig macht, online die Liebe zu finden
Noch nie war es so einfach, Bekanntschaften zu machen und gleichzeitig so schwierig, die große Liebe zu finden.

Was macht die große Auswahl an potenziellen Partnern durch Onlinedating-Plattformen mit uns? Stärkt oder schwächt es unser Selbstwertgefühl? Und wie merke ich, ob ich schon süchtig nach dem nächsten Match geworden bin? Psychoanalytikerin Sarah Rubenthaler gibt Aufschluss darüber.
 

Manche Forscher bezeichnen das Aufkommen des Onlinedatings als größten Einschnitt in der Beziehungskultur seit dem Sesshaftwerden des Menschen vor 10.000 bis 15.000 Jahren. Wie beurteilen Sie das?

Sarah Rubenthaler: Der Einzug und das Aufstreben des Internets in unseren Haushalten – und damit auch das Onlinedating – haben eine neue, leichte, schnelle, anonyme Perspektive des Kennenlernens eröffnet. Es warten offenbar unzählige potenzielle Partner da draußen, versteckt nur hinter ihren Bildschirmen, ein paar Mausklicks entfernt. Schon vor Onlinedatingplattformen gab es Agenturen und Zeitungsannoncen, über die mögliche Partner gefunden werden konnten. Neu ist die kommerzielle Partnervermittlung somit natürlich nicht, aber nie war der Zugang einfacher und teilweise sogar kostenlos.

Vor einem Jahrzehnt galten Menschen, die online nach der großen Liebe gesucht haben, noch als Sonderlinge. Warum hat sich das Ihrer Meinung nach geändert?

Onlinedating ist sicher Ausdruck unserer veränderten Gesellschaft. Früher galt als Versager, wer mit 30 noch nicht den Partner fürs Leben gefunden hat. Heute haben sich die Prioritäten verschoben – das führt zu diversen Veränderungen. Es gibt mehr Singles, viele möchten sich erst beruflich selbst verwirklichen, bevor sie sich binden; da Frauen unabhängiger wurden, gibt es weniger wirtschaftliche Zweckverbindungen, Kinder werden später geboren. Mitten im stressigen Arbeitsleben ist Onlinedating natürlich eine interessante Alternative. Es geht schnell, ist effizient, es gibt diverse Filtereinstellungen (Raucher, sportlich) und Matchingsysteme, die uns „passende“ Partner vorschlagen sollen. Nicht zuletzt lässt sich Onlinedating perfekt in die Pausen unseres Alltags integrieren. Tatsächlich ist es aber auch heute noch so, dass sich Paare nicht outen wollen, sich über diese diversen Plattformen kennen gelernt zu haben; gerne wird da etwas geflunkert. Liebe per Mausklick – da fehlt offenbar die gesellschaftlich erwartete Romantik des Kennenlernens.

Durch Dating-Apps haben wir das Gefühl, dass da draußen Tausende bis Millionen potenzieller Partner warten. Was macht das mit uns?

Das kommt sicher auch auf unseren Charakter, unser Bindungsverhalten, unsere Einstellung und Absichten an. Manche sind mit dem Überangebot schlicht überfordert. Es kann zu übergroßen Erwartungen und Ansprüchen an den potenziellen Partner führen. Bei Internetbekanntschaften besteht eine große Gefahr darin, mehrere, jedoch nur an der Oberfläche kratzende, Verbindungen einzugehen. Man schreibt mit verschiedenen Nutzern parallel, fühlt sich im ersten Moment gleich einmal nicht mehr so einsam, schafft es aber nicht, sich auf eine einzelne Person tiefer einzulassen. Es könnte ja bei den unzähligen anderen Suchenden noch etwas Besseres dabei sein. Übrig bleibt mancher dann mit dem schalen Gefühl des erneuten Versagens bei der Partnersuche, und das, obwohl es doch so ein riesiges Angebot gibt. Menschen, die glauben, dass sie etwas versäumen, wenn sie sich festlegen, gibt es auch im realen Leben. Das Internet mit seiner Bandbreite macht es nur noch einfacher, von Profil zu Profil zu switchen.

Was es so schwierig macht, online die Liebe zu finden
Sarah Rubenthaler ist Psychoanalytikerin und Psychotherapeutin i.A.u.S und führt eine Praxis in Wien

Viele Nutzer sind enttäuscht nach dem ersten Treffen, weil der Mensch, der vor einem steht und mit dem man interessant gechattet hat, mit allen Sinnen (Geruch, Stimme) gar nicht mehr sympathisch scheint.

Bei aller Oberflächlichkeit unseres Zeitgeistes: Gott sei Dank sind wir Menschen, und uns macht mehr aus, als bloß ein hübsches Profilbild und ein paar Floskeln dazu. Ich denke nicht, dass man von fehlender Intention beim Onlinedaten sprechen kann. Es ist ja weitreichend bekannt, dass Anziehungskraft zwischen Menschen durch ein komplexes Zusammenspiel von körperlichen, biologischen und psychischen Faktoren entsteht. Vieles läuft unbewusst ab,  d. h. wir können uns das plötzliche Hingezogensein zu einem anderen Menschen nicht einmal erklären. Das kann auch das noch so ausgeklügelte Matchingsystem nicht durch Algorithmen berechnen. Im Internet ist das System des Kennenlernens umgekehrt: Da wird zig Male hin- und hergeschrieben, vielleicht nett telefoniert. Es bleibt Zeit, sich das Gegenüber nach seinen eigenen Wünschen auszumalen, ein Konglomerat unserer eigenen Projektionen. Kommt es dann zu einem realen Treffen, stellt vielleicht so mancher frustriert und ernüchtert fest, dass es nicht „funkt“, das Gegenüber nicht viel mit unseren Erwartungen gemein hat.

Sei es aus Neugier oder durch Liebeskummer: In den Dating-Apps kann man seinen Marktwert testen. Verändert uns das?

Ich denke, dass es nicht ungefährlich ist, sein eigenes Selbstwertgefühl und somit den Marktwert, hauptsächlich von diversen „Likes“ oder „Matches“  zu generieren. Man muss sich darüber bewusst sein, dass es leider verschiedene Parameter gibt, die mehr gefragt, und andere, die weniger gefragt sind. Beispielsweise können Arbeitslosigkeit, Kinder, ein gewisses Alter bei Männern und Frauen es sowohl online als auch im realen Leben etwas schwieriger machen, Interessenten zu finden. Onlinedating soll als das gesehen werden, was es ist – ein spielerisches System, das es uns erleichtern soll, neue Menschen kennenzulernen und nicht als Maßstab zur Beurteilung unseres Wertes als Mensch.

Ein Kritikpunkt ist, dass Menschen zu Waren werden, die rein objektiv bewertet werden. Texanische Forscher fanden sogar heraus, dass v. a. Männer ein gesenktes Selbstwertgefühl durch Tinder haben. Worauf sollte man achten, damit das nicht passiert?

Gerade Tinder ist ja bekannt für sein „Wisch und Weg“-Prinzip. Hier geht es tatsächlich nur um das gute Profilfoto und eventuell einen sich von anderen Profilen abhebenden Kommentar. Hier wird der Mensch tatsächlich nur über sein Aussehen definiert und beurteilt. Für Männer dürfte es etwas neuer sein, nur aufgrund der Optik beurteilt zu werden. Wo Frauen das durchaus schon eher kennen, wurden Männern noch mehr nach anderen Kriterien beurteilt. Auf das Aussehen reduziert zu werden, tut unserer Seele keinesfalls gut. Uns macht als Mensch doch viel mehr aus.  Besonders frustrierend ist es für Menschen, die sich gerade nicht gut fühlen, aber ihren Selbstwert durch Onlinedating erhöhen wollen, wenn sie nicht die gewünschte Resonanz über das Onlinemedium bekommen. Jeder Nutzer sollte daran denken, dass hinter dem Profil eine reale Person mit einer Palette an Gefühlen sitzt. Es kann sehr verletzend sein, wenn beispielsweise eine nette Korrespondenz stattgefunden hat, der Kontakt nach Fotofreigabe plötzlich kommentarlos abbricht.

Auch ein Kritikpunkt ist das Suchtpotenzial. Wie merke ich, dass ich von einer Dating-App abhängig bin?

Eine Zuschrift oder einen Matchingpoint zu erhalten, löst durchaus einen Kick, ein Glücksgefühl aus. Nach diesem Gefühl kann man süchtig werden. Wenn man ständig nur mehr an seinem Handy sitzt, es kaum aushält, eine Zeit lang nicht nachzusehen, ob sich was Neues im Postfach findet, ist dies problematisch. Entweder man schafft es selbst wieder mehr zurück in die Realität; wenn nicht, sollte man professionelle, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. In der Therapie soll der Grund des Suchtverhaltens herausgefunden und anschließend bearbeitet werden.

http://psychoanalytikerin-wien.at

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