Schreiben statt Tippen: Warum die Handschrift so wichtig ist
Seit Herbst 2016 ist in Finnland das Erlernen der Schreibschrift nicht mehr verpflichtend. Ihre Vermittlung wird aus dem Lehrplan der Grundschulen gestrichen. Tippen mit der Tastatur sei wichtiger, argumentiert der vielfache PISA-Sieger.
Doch gerade die eigene Schrift sagt so viel über uns aus. Sie ist Teil der Persönlichkeit. „Die Handschrift ist eine Form der Körpersprache, die uns ein Leben lang begleitet“, sagt Elisabeth Charkow, Grafologin und Schriftsachverständige.
Die drei Säulen der Schrift
„Die Handschrift basiert auf drei Säulen: Bewegung, Form und Raum.“ Das Schreiben beim Kind beginne mit der Bewegungsfreude und der freien Gestaltungslust. „So wie ein Kind eben alles ausprobiert, so wird es irgendwann auch einmal einen Zettel und einen Stift nehmen und anfangen zu kritzeln.“ Dabei sei die persönliche Note der Schrift schon bei den ersten Kritzeleien vorgezeichnet. „Das wilde Kind wird anders zeichnen als das Zaghafte“, sagt Charkow.
Schulvorlage
Die 2. Säule ist die Form, im konkreten Fall die Auseinandersetzung mit der Schulvorlage. „Wir verwenden derzeit die Österreichische Schulschrift, die 1995 letztmals adaptiert wurde.“ Diese Vorlage ist in allen Ländern unterschiedlich. Sie ist zeit- und ortsabhängig und verändert sich laufend. Der Mensch bringt die Bewegung mit, die Form ist das, was von außen, von der Gesellschaft, der Kultur kommt. Diese beiden Elemente müssen sich verbinden. Mit der Zeit entwickelt sich dann die individuelle Note. „Jede Handschrift hat ihr eigenes Gepräge.“ Die 3. Komponente schließlich ist Raum. Schreibt man auf einem Blatt Papier oder einer Tafel, schreibt man groß oder klein, sind Zeilen auf dem Blatt, Ränder, Abstände, etc. „Aus diesem Konglomerat, Bewegungsmerkmale, Formgebung und Raumaufteilung kommt eine Handschrift zustande“, sagt Charkow.
Was das Schriftbild beeinflusst
Die Handschrift kann sich natürlich noch verändern. „Ein Volksschüler schreibt anders als ein Maturant, und in höherem Alter schreibt man wieder anders.“ Auch Krankheiten oder Medikamente können die Handschrift verändern. Dazu kommen äußere Einflüsse: Bin ich müde, werden die Bewegungen schlapper. Auch Emotionen wie Freude oder Wut haben ihre Auswirkungen auf das Schriftbild. „Ich muss die Einflüsse kennen, durch die sich eine Handschrift verändern kann. Wenn ich die Entstehungsbedingungen und Veränderungsmöglichkeiten der Handschrift kenne, kann ich anfangen, aus einer Schrift den Charakter herauszuarbeiten oder die Echtheit einer Schrift zu überprüfen.“ Diese beiden Gebiete sollte man allerdings auf keinen Fall vermischen. „Wenn es um einen Schriftvergleich geht, ist die Frage, ob jemand wütend oder glücklich ist, völlig irrelevant“, sagt Charkow.
Schreiben ist auch eine Bewegung und Bewegung fördert den gesamtgesundheitlichen Zustand des Menschen, psychisch wie physisch.
Kann man die eigene Schrift manipulieren? Nein, sagt die Grafologin. „Schreiben ist Bewegung und Ihre Bewegungen bleiben gleich, egal ob Sie jetzt eine Jogginghose oder einen schönen Anzug anhaben.“ Neben dem Inhalt werde beim Schreiben auch die Körpersprache mittransportiert. „Und in dieser Körpersprache liegen sehr viele Informationen drinnen. Da fließen Bewusstes und Unbewusstes zusammen.“ So wie jeder einen bestimmten Gang habe, schleppend, hüpfend, eckig oder rund, habe jeder eine bestimmte Art von „Schreibgehen“, ein Rhythmus, der in jedem Bewegungsablauf drinnen ist.
Zeige mir wie du schreibst und ich sage dir, wer du bist
Mittels Grafologie können anhand des Schriftbildes Persönlichkeitsstudien erstellt werden. Und es ist erstaunlich, was die Handschrift alles über uns aussagt. „Am Anfang schaue ich mir die allgemeinen Kennzeichen der Persönlichkeit an. Ist jemand stabil, instabil, ausgewogen, gefestigt oder nicht“, sagt Grafologin Elisabeth Charkow. Dann können daraus Details über die Gefühlsbeschaffenheit, Willensstruktur, den Antrieb, die Vitalität, die Denkart aus der Schrift herausgelesen werden. Dazu werde die Ich-Beschaffenheit analysiert: Ist der Proband selbstsicher oder nicht, hat er Geltungsbedürfnis oder ist er bescheiden. „Daraus kann man gewisse Leistungsqualitäten herauslesen“, sagt Charkow. „Arbeitet jemand genau? Kann er komplexe Themen rasch aufnehmen? Wie schaut es mit Ausdauer, Durchsetzungsvermögen, Kontaktfähigkeit aus. Ist jemand ein Einzelgänger, ein Teamworker, eine Führungspersönlichkeit?“
Charkow arbeitet in erster Linie für Unternehmen, die bei Jobbewerbungen auch auf Schriftanalysen zurückgreifen.
Echt oder gefälscht ?
Ein weiteres Feld der Handschriftanalyse dient der Schriftvergleichung, diese geht unter Zuhilfenahme von physikalisch- technischen Mitteln der Frage nach, ob eine Handschrift echt ist. „Für die Überprüfung der Echtheit einer Unterschrift brauche ich Vergleichsunterschriften in einer guten Anzahl, mindestens 15 Stück, aus einem bestimmten Zeitraum. Eine Vergleichs- unterschrift ist zu wenig“, erklärt Charkow. Jede Handschrift habe eine bestimmte Schwankungsbreite der Merkmale. „Ich muss daher aus einer Vielzahl von gesicherten Unterschriften die Bandbreite erarbeiten. Dann kann ich schauen, ob die fragliche Unterschrift in diese Bandbreite hineinpasst.“
Einzig Geschlecht und Alter können aus dem Schriftbild nicht herausgelesen werden, zumindest das biologische Geschlecht. „Was man aber sehen kann ist quasi das psychische Geschlecht.“
Schreiben – ein Geschenk
Trotz dem Vorpreschen der Finnen macht sich Charkow um die Zukunft der Schrift keine Sorgen. Unsere Art zu kommunizierten und auch die Einstellung zum Schreiben haben sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. „Man hat vergessen, glaube ich, dass das Schreiben ein Geschenk ist. Früher war schreiben nur den Gelehrten möglich, bis es ins Volk eingedrungen ist und jeder schreiben lernen durfte. Nicht musste, sondern durfte.“ Durch Technologie ändere sich natürlich vieles.
„Aber es gibt ja auch coole Sachen – etwa Prothesen, die man mit Gedanken steuern kann“, sagt Charkow. Doch zu viel Technik berge auch die Gefahr des Abhängig-Machens. „Durch alles, was wir nicht mit unserer eigenen Motorik zusammenbringen, machen wir uns von etwas abhängig. Wenn sie mir Papier und Kugelschreiber wegnehmen, kann ich immer noch mit dem Nagel etwas in die Wand ritzen oder in den Sand schreiben. Aber wenn ich keinen Computer mehr habe?“, sagt Charkow. „Reinhold Messner sagt: Gehen ist das dem Menschen entsprechende Tempo, beim Schreiben mit der Hand ist es ähnlich.“
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