Kein Wunder: Von den „Großen Drei“ der Filmfestivals sticht Venedig heraus. Cannes? Die ganze Stadt feiert hektisch sich selbst, geht auf in einem Epizentrum der Eitelkeiten, von Sehen und Gesehen-werden. In Berlin liegt das kalte Wetter mit den oft politisch geprägten Filmen im Wettstreit. In der Lagunenstadt hingegen geht es herrlich entspannt zu. Und das überträgt sich auf die Filmleute. Wer sich durch das Festivalalbum blättert, gerät ins Schwärmen. Niemand, wirklich niemand, auch nicht Clooney, sah je cooler aus als Paul Newman, als er im Boot vor Venedig den Motor abstellt, nur still auf den Wellen schaukelt, den Blick melancholisch in die Dämmerung gerichtet. Gary Cooper filmte alles, was ihm vor den Sucher kam, fütterte die Tauben am Markusplatz und nickte dann in einer Gondel ein. Elizabeth Taylor, Richard Burton und Claudia Cardinale tranken Bruderschaft. Und Sophia Loren, die avancierte in Venedig, bei ihrem ersten Besuch 1955, zum Star, noch bevor sie tatsächlich einer war: Die knipsbereiten Fotografen stürzten sich förmlich auf die attraktive, angehende Schauspielerin. Drei Jahre später kehrte die Loren zurück – und gewann den Preis als beste Schauspielerin.
Hotel mit Geheimtunnel
Ob Charlie Chaplin oder Humphrey Bogart, ob die Garbo oder Grace Kelly, sie alle hinterließen ihre Spuren. Und schrieben auch die Historie der mondänen Hotels mit, die wichtige Hauptschlagadern im Festivalbetrieb darstellen. Etwa das Excelsior, die brodelnde Bühne für alles: Stars wie Meryl Streep logieren hier, geben aber auch Interviews. Achtung, streng geheim: Das Hotel verfügt über einen unterirdischen Tunnel. Die letzte, die ihn nutzte, war 1960 Gina Lollobrigida – um unbelästigt in den Palazzo di Cinema zu gelangen. Längst sind die Hotels selbst Filmstars: Im Cipriani, in dem schon Casanova Frauen betörte, wurde der Bond-Film „Casino Royale“ gedreht, im Gritti Palace, in dessen Lobby Hemingway eines Nachts einst ein Baseballspiel steigen ließ, „Everyone Says I Love You“ von Woody Allen. Und im Danieli „The Tourist“, mit Johnny Depp. Cineastische Magie, in der man (teuer) wohnen kann.
Gegründet wurde die „Mostra Internazionale d'Arte Cinematografica di Venezia“ 1932. Am Anfang des ältesten Filmfestivals der Welt stand allerdings keineswegs die Kunst – sondern der Kunde. Giuseppe Volpi wollte das Geschäft seiner Hotelkette ankurbeln. Und so fand die erste Vorführung auf der Terrasse seines Hotel Excelsior statt – „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“. Als Mussolinis Finanzminister wollte Volpi mit dem Festival zudem den faschistischen Einfluss Italiens auf die Filmkultur stärken. Als man die Jury 1938 zwang, Leni Riefenstahls Propagandawerk „Olympia“ zum Sieger zu erklären, gründete sich aus Protest das Filmfestival Cannes.
Auch heuer ist die Situation durch die Corona-Krise keine leichte. Immerhin: Das Festival findet statt, mit weniger Filmen und Abstandsregeln bei Zuschauern und am roten Teppich. 18 Filme starten im Hauptbewerb, große Hollywoodstreifen fehlen diesmal, gesetzt wird auf Arthouse. Nachdem Cannes abgesagt wurde, feiert das Kino in Venedig ein Comeback. Für Veronika Franz ein „enorm wichtiges Lebenszeichen des Kinos“ und „die Gelegenheit für mehr Intimität im Bewerb.“ Die Regisseurin („Ich seh ich seh“) hat die Ehre, als erste Österreicherin in der Jury zu sitzen. Über das Selbstverständnis des Festivals, bei dem Tilda Swinton den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk bekommt, sagt sie: „Eine Mischung aus Arthouse und Hollywoodfilmen mit Anspruch“, und das sei gut so – „Kino ist für die Menschen da“.
Österreich in Venedig
Apropos: Österreich ist zudem mit der Koproduktion „Quo vadis, Aida?“, die den Völkermord in Srebrenica behandelt, im Rennen. Für die Wiener Schauspielerin Edita Malovčić, Tochter einer Serbin und eines Bosniers, ein Film mit „extrem persönlichem Hintergrund. Es ist mir wichtig, an der Aufarbeitung der Geschichte teilzunehmen.“ Zugleich ist die Festspielteilnahme für sie „einer der größten Erfolge, die man feiern kann – ich bin sehr stolz, Teil davon zu sein.“ Für Malovčić schließt sich ein Kreis. 1999 war „Nordrand“, der erste heimische Film, der seit 51 Jahren in Venedig nominiert war – diese Geschichte setzt sie jetzt fort.
JURY-MITGLIED VERONIKA FRANZ IM INTERVIEW
Wie ordnen Sie die Bedeutung, in der Venedig-Jury zu sein, ein?
Ich empfinde es als Ehre – und Anerkennung für meine Arbeit und den österreichischen Film.
Worauf stellen Sie sich ein?
Viele gute Filme, mehr Intimität. Es fehlen ja die großen US-Filme. Aber für den Wettbewerb kann das ein Glücksfall sein: So können wir vielleicht Talente entdecken, die sonst nicht so viel Scheinwerferlicht gehabt hätten.
Auch für Sie war Venedig ein wichtiges Sprungbrett.
Ja, ich war schon öfter in Venedig, angefangen mit Ulrich Seidls „Hundstage“ – bis zu „Ich seh Ich seh“, meinem ersten Spielfilm mit Severin Fiala. Damals bin ich sehr aufgeregt mit geschlossen Augen in der Uraufführung gesessen und habe mich wie bei einer Geburt gefühlt, bei der 1.400 Menschen zuschauen (lacht). Am selben Abend hat dann Harvey Weinsteins Firma den Film für die USA gekauft. Ein echtes Glück.
Wie haben Sie das Flair Venedigs zur Festivalzeit erlebt?
Glamour trifft auf die Untergangs-Atmosphäre Venedigs und normalerweise auf den Touristen-Wahnsinn. Das ist einzigartig. 2001 habe ich gar im legendären Grand Hotel des Bains gewohnt, aus „Der Tod in Venedig“. Ich habe dort einen Silberlöffel stibitzt – den habe ich heute noch.
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