Ich habe meinen Mann mit 23 kennengelernt. In meinen früheren Beziehungen war ich immer untreu, die sexuelle Anziehungskraft meiner Partner hat sich für mich schnell aufgelöst. Ich habe das Fremdgehen genossen und mich gleichzeitig schlecht gefühlt, dass ich meinen Partner anlügen muss. Meinem Mann ging es ähnlich. Als wir zusammenkamen, haben wir gesagt: Wir können unmöglich so tun, als wären wir für immer treu. Also haben wir die Flucht nach vorne angetreten. Die ersten zwei Jahre hatten wir gar keine Fremdkontakte, dann hat es sich langsam entwickelt.
Was sind die Voraussetzungen dafür, dass so ein Modell funktionieren kann?
Es braucht eine gute, stabile Beziehung, eine zerrüttete Partnerschaft wird man damit eher nicht retten können. Es braucht viel Ehrlichkeit, in erster Linie zu sich selbst. In offenen Beziehungen geht es nicht darum, immer zu machen, was man will. Man muss Grenzen immer wieder neu verhandeln und akzeptieren. Dazu kommt eine Leidensbereitschaft, denn das Ganze tut auch mal weh.
Wie geht man mit Eifersucht um?
Eifersucht kommt in allen Beziehungen vor, aber in offenen Modellen muss man einen produktiven Umgang damit finden. Es ist okay, eifersüchtig zu sein, fast jeder Mensch fühlt so. Dann kann man schauen: Auf welche unentdeckten Bedürfnisse weist mich meine Eifersucht hin? Welche schmerzhaften Erfahrungen aus meiner Vergangenheit melden sich hier? Wenn man eifersüchtig ist, braucht man vom Partner ganz viel Liebe. Wir nennen das den roten Teppich.
Sie sind seit 18 Jahren verheiratet. Wie hat Ihre Ehe von der Öffnung profitiert?
Die Art, wie ich lebe, führt – wenn sie gepaart ist mit Wohlwollen und Entwicklungsbereitschaft – zu einer tieferen Bindung. Ich empfinde mich als privilegiert, weil ich meine Sexualität frei leben kann. Aber natürlich würde ich nicht behaupten, dass offene oder sogar polyamore Beziehungen für jeden das Nonplusultra sind.
Sind offene Beziehungen das zukunftsträchtigere Modell?
Das monogame Modell ist sehr attraktiv, weil es für das Bedürfnis nach Sicherheit und Zugehörigkeit eine gute Antwort liefert. Das Problem ist nur, dass sie sich in sehr vielen Fällen als Scheinsicherheit herausstellt. Der Betrug überrascht und verletzt, weil wir so tun, als gäbe es diese Gefahr nicht. Ich glaube, dass Beziehungsmodelle, die alle Grundbedürfnisse integrieren, eine bessere Zukunftsfähigkeit haben. Ich will die Monogamie aber nicht abschaffen – ich bin eher empört darüber, dass wir immer noch ein Modell romantisieren, bei dem wir irgendwann ziemlich sicher auf die Schnauze fallen werden.
Ist die monogame Ehe also ein Mythos?
Ich sage, sie ist eine verklärte, ideologische Vorstellung. Dieses Konstrukt stärkt unseren Selbstwert: In einer monogamen Beziehung stehe ich immer auf dem Siegertreppchen, weil mein Partner mich auserwählt hat. Aber wir können unseren Selbstwert nicht davon abhängig machen, dass uns irgendjemand als Beste oder Besten auswählt. Daher finde ich es wichtig, dass wir über diese Verklärung sprechen.
Was raten Sie Pärchen, die vor der Hochzeit stehen?
Redet darüber, dass die Monogamie im Widerspruch zu unserer Biologie steht. Dann erschreckt ihr nicht so sehr, wenn plötzlich einer von euch Lust auf etwas Fremdes hat. Das Problem ist, dass Sex und Liebe verknüpft werden und junge Menschen denken, wenn mein Freund scharf ist auf eine andere, kann er mich nicht mehr lieben. Das ist aber nicht nötig, denn man kann lieben und trotzdem Lust auf etwas anderes haben. Es ist nicht die Liebe, die weggeht, es ist einfach das Sexualsystem, das sich meldet.
Ist die Gefahr nicht groß, dass man sich fremdverliebt?
Aber was ist denn Verliebtheit? Ein Hochgefühl der Lebendigkeit. Wie gemein, dass man das nur einmal im Leben erleben soll. Wir sollten uns dieses Gefühl erlauben, ohne gleich auf die Beziehungsrolltreppe steigen zu müssen. Warum kann ich nicht mal drei Wochen oder drei Monate verliebt sein, mich jung und schön und sexy fühlen und gleichzeitig mein normales Leben mit Kindern, Mann, Haus und Schwiegereltern weiterführen? Die Wahrscheinlichkeit, dass man heißes Begehren auf den Partner hat, wird mit den Jahren immer geringer. Warum also nicht Sexualität mit anderen Menschen leben? Es ist einfach nur Sex, mein Gott.
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