Das Internet hat ein neues Lieblingswort: „Knuffelcontact“ klingt wie ein Ikea-Kissen, ist aber eine offizielle Maßnahme der belgischen Regierung zur Eindämmung der Corona-Pandemie in dem vom Virus schwer gebeutelten Land. Jeder Single darf – trotz Lockdown und Abstandsregeln – zwei Personen zum Umarmen, Kuscheln, Schmusen empfangen (allerdings nicht gleichzeitig, wie die Regierung betonte).
Die Knuffelcontacte – „knuffelen“ ist Flämisch für „kuscheln“ – sollen ein menschliches Grundbedürfnis stillen, das im zähen Kampf gegen Covid-19 gerne übersehen wird: jenes nach körperlicher und emotionaler Nähe. Seit Restaurants wieder geschlossen sind und die Regierung abendliche Ausgangsbeschränkungen verhängt hat, plagen vor allem Alleinlebende Einsamkeitsgefühle – und die Frage, wann und wie sie jemals jemanden kennenlernen werden.
Zuversicht
Denn in der heimischen Verordnung ist offiziell keine Rede von „Knuffelcontacten“ für Singles, „Casual Sex“ und Parallel-Dating fällt – bis auf Spaziergänge – flach. „Sex, körperliche und geistige Nähe sind Grundbedürfnisse, die man sich als Single ohnehin schon fast erarbeiten muss“, sagt Nikolaus, 29, Single auf Partnersuche. „Ohne Fortgehen und Dates ist das jetzt quasi gar nicht mehr möglich.“ Er findet es „interessant, dass diese unbefriedigten Bedürfnisse von uns Singles, die ernsthafte psychische Schäden anrichten können, bei den Vertretern der Politik keinerlei Erwähnung finden“.
Auch die Psychologin Caroline Erb, die in ihrer Praxis in Wien unter anderem auf Singles spezialisiert und für eine große Online-Partneragentur tätig ist, nimmt eine zunehmende Belastung Alleinlebender wahr.
„Der erste Lockdown wurde von den meisten noch härter und einschränkender erlebt, die Sehnsucht nach sozialen Kontakten und einem Partner wurde von den meisten als sehr groß beschrieben“, berichtet die Psychologin. Viele hätten sich gerade erst von dieser Zeit erholt. „Nun brauchen sie erneut viel Kraft und Zuversicht, um die kommenden Wochen gut bewältigen zu können.“
Laut einer aktuellen Parship-Studie sehnen sich 75 Prozent der Singles weiterhin nach Dates, erachten die aktuellen Sicherheitsmaßnahmen aber als sehr wichtig (vor allem Maskenverweigerer haben bei Frauen derzeit ganz schlechte Chancen). Erb rät dazu, vereinzelt nicht auf soziale Kontakte und Dates zu verzichten – „wenn auch im Freien und untertags“. Am virtuellen Single-Markt bietet sich die Chance für „Slow Dating“, also im eigenen Tempo nach dem oder der Richtigen zu suchen. „Krisen können zusammenschweißen, Oberflächlichkeiten sind jetzt fehl am Platz“, betont Erb.
Allein, erziehend
Während Menschen, die alleine leben, nun zumindest jede Menge „Me-Time“ in Form von duftenden Vollbädern und virtuellen Yoga-Kursen zur Verfügung haben, tragen Alleinerziehende eine Doppelbelastung. Eine Befragung des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) unter 7.000 Deutschen führte jüngst zu der Erkenntnis, dass Single-Eltern am stärksten unter den Kontakteinschränkungen im vergangenen Frühjahr litten. „Ich fühle mich total gestresst und überfordert mit der momentanen Situation“, sagt die 33-jährige Pia, alleinerziehende Mutter eines Volksschulkindes. „Für Alleinerziehende gibt es keine wirklich befriedigenden Lösungen. Es fehlt an Entlastung – jetzt kann man nicht einmal mehr in eine Therme fahren, um kurz durchzuatmen.“
Ein Teufelskreis, denn Körperkontakt reduziert Stress nachweislich, stärkt das Immunsystem, kann Schmerzen lindern und fördert die Ausschüttung von Glückshormonen im Gehirn. „Wie viel körperliche Nähe jeder Einzelne braucht, ist aber individuell unterschiedlich“, sagt Psychologin Erb. „Letztlich geht es auch immer um eine Perspektive, die ich habe, konkret um eine zeitliche Begrenzung einer schwierigen Herausforderung.“
Alternative Nähe
Wichtig sei, sich jetzt nicht zurückzuziehen, mit Telefonaten und Videocalls eine andere Art von Nähe zuzulassen. Vor einem Treffen mit einem potenziellen Partner sollten sich jedenfalls beide auf Covid testen lassen.
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Single Nikolaus übt sich indes in Geduld und hat sich für alle Fälle einen alternativen „Knuffelcontact“ zurechtgelegt. „Jetzt heißt es stark bleiben und weiter mit dem großen Seitenschläferkissen kuscheln, bis wieder Normalität einkehrt.“
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