Nicht alles digital: Warum das Analoge für die Zukunft wichtig ist

Florian Kaps, Supersense
Der Ruf nach mehr Digitalisierung überfordert viele und manch einer fragt, ob sie tatsächlich alternativlos ist. Wie analog ist die Zukunft?

Ein allmächtiges Tech-Unternehmen nimmt die Welt in Geiselhaft. Überwachung wird omnipräsent und ohne digitale Begleitung darf man nicht einmal mehr in den Wald gehen. US-Autor Dave Eggers schildert in seinem neuen Roman „Every“ eine dystopische Welt in naher Zukunft, von der sich viele bestätigt fühlen werden, die manchmal ein merkwürdiges Gefühl beschleicht. Jenes, ohne digitalen Begleiter kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft mehr zu sein.

Dass die Digitalisierung vorangetrieben werden müsse, predigt heute jeder Vorstadtpolitiker und wer noch auf die Bank geht, um dort mit realen Menschen zu sprechen, gilt als Exot. Und doch lässt sich mit der Forderung nach einem „Recht auf analoges Leben“ nicht nur Kopfschütteln, sondern auch politisches Terrain gewinnen – von links bis rechts. Was Digitalisierung konkret bedeutet, macht viele ratlos. Erleichterungen im Alltag, die sich im Zweifelsfall als Zeitersparnis verkaufen lassen? Die Tendenz, einst von der Haptik lebende Liebhabereien in stets abrufbare Dateien zu gießen? „Die Leute kommen drauf, dass sie keine Spuren mehr hinterlassen“, sagt etwa Florian Kaps, Vorreiter der analogen Renaissance. Und Hirnforscher Jürgen Sandkühler bilanziert die Auswirkungen  der Digitalisierung auf unser Verhalten ernüchternd.

Doch die Hoffnung auf ein gedeihliches Zusammenleben der digitalen und der analogen Welt lebt. Als jüngst das weltgrößte Online-Netzwerk rund um Whatsapp, Facebook und Instagram für  mehrere Stunden ausfiel,  musste der Server im  Rechenzentrum einem „manuellen Reset“ unterzogen werden. Ganz analog.   

Nicht alles digital: Warum das Analoge für die Zukunft wichtig ist

Florian „Doc“ Kaps ist promovierter Biologe. Das Interesse für das Analoge an und für sich ist bei ihm mindestens so ausgeprägt wie jenes für Wissenschaft.

Zweidimensionale digitale Welt genügt den fünf Sinnen nicht

Der britische Guardian bezeichnete Florian Kaps als „Wiener Antwort auf Steve Jobs“. Womöglich, weil Florian Kaps auch dann beharrlich bleibt, wenn seine Umgebung eine Geschäftsidee für „unmöglich“ hält. Und er eine daraus entstehende Firma folgerichtig „The Impossible Project“ nennt.

Florian „Doc“ Kaps ist promovierter  Biologe. Das Interesse für das Analoge an und für sich ist bei ihm mindestens so ausgeprägt wie jenes für Wissenschaft. Zunächst war da die Lomografie, auch  experimentelle Schnappschussfotografie genannt. Darauf folgte das Thema Polaroid. Als Kaps 2008 das letzte Polaroid-Werk im holländischen Enschede erwarb, sagte seine gesamte Umgebung, inklusive Ehefrau:  „Bist du komplett bescheuert?“ Es war der Beginn des  „Impossible Projects“ –  unter diesem Titel übrigens ab Jänner 2022 als Film in Kino zu sehen. Das scheinbar Unmögliche wurde möglich: Plötzlich waren auch die Digital Natives begeistert – „die,  die wir bereits  an das Smartphone verloren geglaubt hatten.“ Die Rettung der Polaroid-Fabrik wurde zum Erfolg.

Seit 2010 wird das klassische Filmmaterial für Sofortbilder wieder hergestellt und weltweit vertrieben.

„Doc“ Kaps ist mittlerweile schon weiter. Auf Polaroid folgte „Supersense“, eine rein analoge Manufaktur im Dogenhof auf der Wiener Praterstraße: Werkstatt, Aufnahmestudio, und Geschäft in einem. Außerdem ein Geruchslabor und ein Café, in dem ausschließlich am Feuer gekocht wird. Und selbstverständlich hat auch die größte Polaroidkamera der Welt hier ein Zuhause gefunden. Beim momentan größten Projekt geht’s ums Hören.

Florian Kaps, Supersense

Die im Supersense entstehenden Schallplatten werden nicht gepresst, sondern auf einer selbst entwickelten Maschine geschnitten.  

Das Supersense ist laut Kaps der einzige Ort der Welt, der Schallplatten direkt herstellt. Musiker wie die Fantastischen Vier, Gregory Porter, Hans Theessink oder das Jazztrio Café Drechsler  spielen live auf der Bühne, werden aufgenommen und unbearbeitet auf Tonträgern festgehalten: Die daraus vor Ort entstehenden Schallplatten werden nicht gepresst, sondern auf einer selbst entwickelten Maschine geschnitten.  

Florian Kaps, Supersense

"Wir wollen Brücken bauen, keine Dinosaurier am Leben erhalten"

Kaps’ erklärte Mission: Analoge Technologien vor dem Verschwinden zu bewahren und ihnen einen Platz in der digitalen Welt zu bieten. Übrigens auch im 25hours Hotel in Wien, wo Kaps die weltweit ersten „analogen Hotelzimmer“ geschaffen hat. Mit Plattenspieler, Röhrenfernseher und Schreibmaschine. „Wir sind ein Versuchslabor. Wir wollen Brücken bauen, keine Dinosaurier am Leben erhalten.“

Mittlerweile habe sich die analoge Gegenbewegung weltweit etabliert, sagt Kaps. „Sogar  Konzerne wie Amazon versuchen jetzt,   Buchläden zu eröffnen. Viele kommen  drauf, dass ihre Kunden doch echte Menschen sind. Während Europa  noch Milliarden für die Digitalisierung ausgibt, setzen sich Großkonzerne in den USA mit dem Gedanken auseinander, wie sie  wieder in der Realität Fuß fassenkönnen.“ Das Digitale sei immer hinter einer Glasscheibe, man könne es sehen und hören. Aber man könne es nicht schmecken, nicht riechen, nicht angreifen. „Der Mensch braucht seine fünf Sinne, um sich zu verlieben, Vertrauen zu fassen, sich wohlzufühlen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die fünf Sinne sichern unser Überleben. In der  zweidimensionalen Welt des Digitalen  geht  uns etwas ab.  5.000 Facebook-Freunde sind schön, aber ein Mensch, der da ist und uns in den Arm nimmt, ist etwas anderes.“ Und: „Die Leute kommen drauf, dass sie keine Spuren mehr hinterlassen.“  

Nicht alles digital: Warum das Analoge für die Zukunft wichtig ist

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