Mama und Papa sind für Jugendliche jetzt cool
Popstars? Influencer? Oder doch Politiker? Die Frage, welchen Vorbildern die Jugend folgt, ist in jeder Generation aufs Neue spannend. Das Institut für Jugendkultur befragte 400 Elf- bis 17-Jährige und erfuhr Überraschendes: Mutter und Vater, aber auch Großeltern oder Geschwister, sind die wichtigste Inspiration der Heranwachsenden.
Für Studienleiter Bernhard Heinzlmaier ist diese Wahl ein Zug der Zeit: „Wir erleben eine Renaissance des Cocooning. Corona-bedingt fokussieren Jugendliche jetzt auf die kleinste Einheit der Gesellschaft, die Familie. Jetzt zählen vor allem Ehrlichkeit, Charakterstärke und Verlässlichkeit. Und die sehen sie bei vielen anderen eben nicht.“
Im Gleichschritt
Ein Phänomen, das auch bei den Promi-Kindern zu beobachten ist, die zur Generation Z zählen und langsam an der Seite ihrer Eltern ins Rampenlicht treten. Ohne den Anflug einer Rebellion präsentieren sich berühmte Eltern-Kind-Gespanne auf roten Teppichen und Social-Media-Plattformen in amikal-harmonischer Eintracht. Immer öfter ziehen sie auch beruflich an einem Strang: Heidi Klum ließ sich mit Leni, 16, für ein Magazin ablichten, Verona Pooth und San Diego, 17, haben sogar einen eigenen Mutter-Sohn-Podcast. David und Romeo Beckham, 21, necken und bewundern einander öffentlich in ihren Instagram-Profilen, Lilly Krug, 19, tritt in die Schauspieler-Fußstapfen ihrer Mutter Veronica Ferres und schwärmt in Interviews von deren Vorbildwirkung.
Ist der Fokus auf die Familie ein Zeichen für eine kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft? Leider nein, bedauert Heinzlmaier: „Das ist eher eine allgemeine Gefühlslage des Misstrauens.“ Dieses ziehe sich durch alle Schichten, doch sonst gibt es große Unterschiede zwischen den Jugendlichen. Die unterschiedlichen Lebenswelten manifestieren sich an den Idolen: „Während die Gebildeteren Menschen wie Greta Thunberg und Martin Luther King bewundern, die die Gesellschaft verändern wollen, stehen bei anderen Jugendlichen etwa Sportler wie Neymar hoch im Kurs.“
Früher habe es mehr Überschneidungen gegeben, auch zwischen den Geschlechtern – „da haben Jugendliche über alle Gruppen Vorbilder wie Bruno Kreisky oder berühmte Schauspieler angegeben. Jetzt bemerken wir eine immer größere Trennung zwischen den Lebenswelten der Jungen. So wie in der ganzen Gesellschaft.“
Völlig abgestürzt ist das Image der Politik, zeigt sich in der Umfrage: Noch bevor sie zum ersten Mal wählen gehen, misstrauen die Jugendlichen den Institutionen. Am ehesten sehen sie den jungen Kanzler Sebastian Kurz als Vorbild, immerhin jeder zehnte Befragte nannte seinen Namen.
Die neuen Netz-Ikonen
Sogar die Social-Media-Stars haben – vor allem bei älteren Jugendlichen – an Glaubwürdigkeit verloren. „Anfangs waren das junge Leute, die sich eine Internet-Präsenz geschaffen haben. Ein bisschen wie berühmte Freunde, mit denen man sich verbunden fühlt. Aber seit die Wirtschaft und PR-Agenturen diese Menschen vereinnahmt haben, glaubt man ihrem Urteil nicht mehr. Unter 16 wirkt es noch, darüber immer weniger“, erklärt Heinzlmaier.
Statt substanzlosen Instagram-Models folgen „Zoomer“ (Generation Z, um die Jahrtausendwende Geborene) in Digitalien Typen wie Billie Eilish, Shawn Mendes oder Amanda Gorman, die Genderklischees überwerfen, Body Positivity leben oder gesellschaftliche Missstände ansprechen.
Warum Influencer wie Charli D’Amelio noch immer 100 Millionen Fans haben? „Weil Jugendliche ihnen gern zusehen, wie sie sich lächerlich machen. Reichweite bedeutet nicht, dass sie Vorbilder sind. Sie sind oft nur Dummköpfe, die zur Unterhaltung beitragen.“
Einer, der gern Zeit auf Tiktok verbringt, ist der 14-jährige Jonas. Er widerspricht der Sichtweise des Experten: „Bei vielen Influencer-Videos geht es um Comedy, nicht darum, dass man jemanden auslacht. Auf Tiktok kann man noch viele Fans bekommen, aber ich glaube, dass das weniger mit Vorbildern zu tun hat als mit Unterhaltung.“
Weg vom Selfie-Wahn
Die Abkehr von Oberflächlichkeit und Selbstinszenierung belegte kürzlich noch eine weitere Umfrage: Beim Trend-Monitor zeigte sich, dass die Jugend die sozialen Medien weniger dafür nutzen will, Selfies zu posten und sich darzustellen – es geht ihr mehr um den Kontakt mit ihren Freunden, betonte Matthias Jax von der Initiative Saferinternet im Gespräch mit dem KURIER.
Trotz traditioneller Werte bleibt die Freizeitgestaltung junger Menschen modern und digital – wer nicht surft oder chattet, vertieft sich in Online-Games. Als analogen Ausgleich haben überraschend viele Teenager passend zum Lockdown-Biedermeier das Kochen für sich entdeckt. Gut möglich, dass sie sich auch das von Mama und Papa abgeschaut haben.
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