Schutz gegen Sexisten
Mit ihrem Statement der Selbstermächtigung und dem Appell gegen die permanente Bewertung des weiblichen Körpers machte die Sängerin einmal mehr klar, warum sie als Stilikone der Generation X gilt: Billie Eilish Pirate Baird O’Connell, so der bürgerliche Name der Kalifornierin, pfeift auf das Schönheitsdiktat, das jungen Popstars normalerweise auferlegt wird. Sowohl den Fotografen am roten Teppich als auch ihren 60 Millionen Instagram-Abonnenten präsentiert sie sich mit schwarz-grünen Haaren, neutraler bis rotzfrecher Miene, überlangen Hosen und XXL-Oberteilen, die keinen Zentimeter Haut offenbaren.
Ihr Stil ist eine Waffe gegen die Übersexualisierung im Popgeschäft – sie wolle Sexisten keine Angriffsfläche bieten, verriet die „Bad Boy“-Interpretin in einem Promo-Video für Calvin Klein: „Niemand kann sich eine Meinung bilden, weil sie nicht gesehen haben, was darunter liegt. Niemand kann sagen: ‚Sie hat einen flachen Hintern, sie hat einen fetten Arsch!‘ Niemand kann solche Meinungen haben, weil sie es nicht wissen.“
Jungfrau oder Vamp
Für ihren Zugang zu Weiblichkeit, ihren offenen Umgang mit psychischen Erkrankungen und vermeintlichen optischen Makeln wird Eilish von ihren – überwiegend jungen weiblichen – Fans vergöttert. Zeit wird’s: Jahrelang wurden Chartstürmerinnen à la Britney Spears erst als artige Jungfrauen und schließlich als normschöne Sexsymbole inszeniert und vermittelten jungen Fans auf diese Weise ein verzerrtes Körperbild. Mit Eilish zeichnet sich nun ein Paradigmenwechsel ab: „Billie Eilish versucht sich nicht primär über ihr Aussehen, sondern vor allem über die Kunst, die sie schafft, zu definieren. Hier werden andere Werte als wichtig vermittelt, nicht nur schön und vor allem sexy zu sein“, beobachtet Natalie Baumgartner-Hirscher von der School of Education der Universität Salzburg, die sich in früheren Forschungen mit den Einflüssen medialer Stars auf das Körperbild von Jugendlichen befasst hat und an einer AHS unterrichtet.
Die Entstehung eines ungesunden Körperbildes sei komplex, „sogenannte soziale Vergleichsprozesse mit Stars können aber insbesondere bei Mädchen und jungen Frauen zu Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und einem starken Wunsch, dem Ideal zu entsprechen, führen“, weiß die ausgebildete Sexualpädagogin. Daher sei es so wichtig, dass sich junge Künstlerinnen nicht nur über ihren trainierten Körper definieren und eine gewisse Vielfalt repräsentieren – jenseits von blond, schlank, weiß.
Idole hinterfragen
„Wir befinden uns derzeit in einem spannenden gesellschaftlichen Diskurs über die Rolle und das Bild der Frau“, sagt Baumgartner-Hirscher. Heutige Jugendliche werden im Sog der #MeToo-Bewegung groß, legen Wert auf Gleichberechtigung, hinterfragen Genderstereotype.
Auch die Schule sei gefordert, so die Pädagogin: „Es bleibt zu hoffen, dass ein Paradigmenwechsel eingeläutet wird und Mädchen einen entspannten Umgang mit ihrem Körper lernen. Dazu ist wichtig, diese Thematik mit den Jugendlichen aufzuarbeiten, das heißt, das Thema sichtbar zu machen, auch im Unterricht. Zu Medienerziehung gehört auch das kritische Hinterfragen von propagierten Idealen.“
Dass der Weg lang ist, zeigt ein Blick auf das Instagram-Profil von Billie Eilish. Weil sie Bikinifotos von einem Strandurlaub postete, wurde sie von Hatern als „Hure“ beschimpft. Es wird Zeit, dass sie ihre Welttournee fortsetzen – und ihre Botschaft weiter verbreiten kann.
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