Es hat sehr wenig mit der Lebensrealität der meisten Menschen zu tun, was tagtäglich auf unzähligen Instagram-Accounts zu sehen ist: Körper und Gesicht sehen dank diverser Filter makellos aus, das fotografierte Essen ist stets gesund und auch bei Minus-Graden wird der neue Stiefel-Trend zum Minirock (natürlich ohne Strumpfhose) ausgeführt.
Doch es gibt eine Parallelwelt auf dem sozialen Medium, das mittlerweile 2,4 Millionen Österreicher nutzen, die rasant an Popularität gewinnt: Finsta-Accounts. Finsta steht für Fake-Instagram, meint aber genau das Gegenteil.
Es sind Zweit-Profile, auf denen alles gepostet wird, wonach demjenigen gerade der Sinn steht – und was nicht auf dem gut durchdachten regulären Account zu passen scheint: unvorteilhafte Selfies über Alltags-Ärgernisse oder auch intime Momente werden veröffentlicht. Kurz: Das reale Leben wird gezeigt.
Denn was einst als simple Foto-Sharing-Plattform begann, ist längst zu einem Ort geworden, wo vor allem eines gefragt ist: Perfektion. Influencer, die ihr vermeintliches Traumleben posten, verdienen auf diese Weise gutes Geld. Doch diese Accounts, die Millionen Followern als Inspiration dienen sollen, werden für ebendiese zunehmend zur psychischen Belastung. Fremde Menschen werden aufgrund ihrer Lebensweise und ihres Aussehens zu Vorbildern. Und so präsentieren sich längst auch jene, für die Instagram nur ein Hobby ist, ausschließlich in der Idealversion ihrer selbst, um möglichst viele Follower zu bekommen.
Perfekt sein für andere
Glücklich macht diese ständige Zurschaustellung von Makellosigkeit nicht: Einer Langzeitstudie der American Psychological Association (APA) zufolge, können soziale Medien das Risiko für Depressionen erhöhen. Bei jungen Frauen und Mädchen zeigen sich diese negativen Effekte besonders häufig.
"Auf Instagram steht die Darstellung eines kuratierten Lebens im Mittelpunkt", sagt Psychologin und Medienpädagogin Sandra Gerö im Gespräch mit dem KURIER. "Wen will ich mit meinen Postings ansprechen? Was behalte ich lieber für mich? Was erwarten andere von mir? Das sind Fragen, die sich viele Nutzer stellen. Wie das perfekte Leben auszusehen hat, wird sehr stark von außen diktiert."
Der Wiener Psychotherapeut und Psychologe Dominik Rosenauer sieht im Anspruch, dem gängigen Ideal möglichst gut zu entsprechen vor allem ein Problem: "Wenn man nicht so sein kann, wie man ist, erhöht das mit Sicherheit die Komplexität, den psychischen Aufwand und damit den Druck." Der Wunsch, sich anzupassen, werde laut Gerö bei einigen so groß, dass "sie im Extremfall nicht mehr wissen, wer sie sind".
Finsta-Accounts sind vor allem für die Generation Z, also zwischen 1997- und 2012-Geborene, sowie für die vorhergehende Generation Y eine Form der Flucht aus dem Teufelskreis von Selbstdarstellung und Anerkennung. Denn während Ältere gerne in schicken Hotels einchecken, um sich einem Social-Media-Detox zu unterziehen oder sogar ihre Profile gänzlich löschen, ist der Komplett-Verzicht für junge Menschen keine Option. Instagram ist für viele unerlässlich, um Freundschaften aufrechtzuerhalten und neue Menschen kennenzulernen. Berufliche Kontakte werden über die Plattform ebenso intensiv gepflegt.
Entspannterer Umgang
Ihren Finsta-Account, der stets anonym angelegt wird und nur für einen sehr kleinen Kreis von Freunden und Familienmitgliedern freigegeben wird, bezeichnen die Nutzer als befreiend. "Finsta hat Instagram für mich viel entspannter und angenehmer gemacht", sagte ein Zweit-Account-Fan gegenüber BBC. "Ich kann meinen Freunden mein verrücktes Ich zeigen, während mein Image auf dem anderen Account gewahrt wird."
"Am Ende des Tages will jeder von uns dafür geliebt werden, wer er wirklich ist", sagt Psychologin Sandra Gerö. "Und die meisten haben nur einen kleinen Kreis an Menschen, bei denen keine Angst besteht, für das wahre Ich kritisiert zu werden."
Psychotherapeut Dominik Rosenauer sieht Finsta-Accounts als Möglichkeit für den "Ausbruch" aus diesem Käfig sozialer Konventionen. Der Experte gibt jedoch zu bedenken: "Soziale Medien werden Teil unseres Lebens bleiben – in welcher Form auch immer. Wir werden daher Kulturtechniken entwickeln müssen, mit ihnen gut umgehen zu können." Fake-Account hin oder her.
Zahl steigt
Laut einer Analyse der oberösterreichischen Onlineagentur artworx ist hierzulande Instagram nach Facebook das zweitgrößte soziale Netzwerk. Die Nutzerzahlen sind im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozent gestiegen.
2,4 Millionen
Österreicher sind aktuell auf Instagram aktiv, der Großteil (34 Prozent) ist zwischen 24 und 34 Jahre alt. Dahinter kommen die 18-24-Jährigen mit 28 Prozent. Mit einem Prozent der Gesamtnutzer sind die über 65-Jährigen die kleinste Gruppe.
1,9 Millionen
Auf diese stolze Follower-Zahl kommt Johannes Bartl. Der Fitnesstrainer ist der erfolgreichste Influencer Österreichs. Die populärste Frau ist Lisa-Marie Schiffner. 1,2 Millionen Menschen interessieren sich für das Leben der 18-jährigen Steirerin. Mit satten 19 Millionen Followern ist Arnold Schwarzenegger der gefragteste heimische Prominente.
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