Alles war anders, als man es sich vorgestellt hatte: keine auffällig geschminkten Models auf dem Weg zum Pornodreh, keine Gummipenis-Kollektion auf dem Bücherregal der Firmenchefin. Stattdessen eine freundliche Assistentin (eine ehemalige Richterin) in hochgeschlossener Bluse mit grauem Pagenkopf, und im Büro der Chefin ein Bild von Charles Lindbergh. Nur im Erdgeschoß des Firmensitzes im deutschen Flensburg, einem geschmacklosen 1970er-Jahre-Bau, gab es den obligaten Beate-Uhse-Sexshop. Oben herrschte amerikanische Großraumbüro-Atmosphäre – nicht einmal die Chefin hat eine Tür zum Verschließen. Die Chefin: Beate Uhse, Europas bekannteste Sexartikel-Händlerin, früher begeisterte Fliegerin, später nicht minder begeisterte Golferin und Taucherin.
Anlässlich ihres 80. Geburtstags im Herbst 1999 empfing sie den KURIER zum Interview.
Wie immer in ihrer Lieblingsfarbe blau gekleidet (diesmal hochglänzend-türkisblau), dazu Ballerinas in fast demselben Farbton und weißen Söckchen, schoss sie ums Eck: „Ich bin Kauffrau, ich hätte alles verkaufen können. Irgendwie sind es aber doch Sexartikel geworden.“
Sich anstrengen
Dabei deutete nichts darauf hin. Geboren wurde Beate Köstlin in Ostpreußen als Nesthäkchen eines Gutsbesitzers und einer Ärztin. Als sie mit neun Jahren Pilotin werden wollte und alle sie auslachten, gab ihr Vater ihr ein Lebensmotto mit auf den Weg: „Wenn du in deinem Leben etwas möchtest und bereit bist, dich dafür anzustrengen, wirst du es auch schaffen.“ Mit 18 war sie Pilotin, wenig später verheiratet und nach dem Krieg ganz allein. Sie hatte alles verloren: Ihr Mann war gefallen, ihre Eltern beim Einmarsch der Russen umgekommen, die Heimat russisch besetzt.
Mit dem letzten Flugzeug gelang Beate Uhse, die damals bei der Luftwaffe war, mit ihrem zweijährigen Sohn Klaus die Flucht aus dem umzingelten Berlin. „Ich hatte das Ding zwar noch nie geflogen, mir aber gedacht, ich komme bis dicht an die dänische Grenze. Falls die Russen doch kommen, nehme ich mein Kind auf den Arm und gehe zu Fuß nach Dänemark.“
Flüchtling daheim
Das war nicht nötig. Trotzdem war es schwierig, als Flüchtling im eigenen Land: „... der Krieg hat mich ausgespuckt. Ich fühlte mich unerwünscht.“ Um sich bei niemandem bedanken zu müssen, lebte sie drei Jahre in der Bücherei einer Schule.
Langsam kehrte die Normalität zurück und mit ihr die Männer: Als immer mehr Frauen in ihrem Dorf ungewollt schwanger wurden, fragten diese sie um Rat, erzählte Uhse gerne. Sie habe sich an Knaus-Oginos Methode über fruchtbare und unfruchtbare Tage erinnert: „Und da hab’ ich das eben für Petra und Carola ausgerechnet.“ Bei den beiden blieb es nicht: Innerhalb kürzester Zeit betrieb sie einen schwunghaften Handel mit ihrer „Schrift X“. Kondome und Aufklärungsbücher folgten. Das Beate-Uhse-Unternehmen war geboren.
Schnelle Geschäfte
Selbst beim Mauerfall, der für sie „unglaublich“ war, dachte sie nur an eines – ans Geschäft. „Schon am nächsten Tag startete ein Lastauto vor unserem Laden in Westberlin 1.“ Um den Ossis die Segnungen aus Beate Uhses Wundertüte zu überbringen.
Da war sie längst berühmt. „Als ich damals im Flieger saß und mich dem Menschen neben mir – fast immer ein Mann – vorstellte, sagte er: ,Also ich würde ja nie bei Ihnen kaufen, so was brauche ich nicht.’ Da habe ich immer hämisch gegrinst und gesagt: ,Von meinen fünf Millionen Kunden habe ich auch noch nie einen getroffen.’“ Später hätte dasselbe Gespräch auch stattgefunden: „Aber mit dem Zusatz: ,Übrigens, ich bin schon lange in Ihrem Laden Kunde.’“
Beate Uhse wurde als jüngstes von drei Kindern am 25. Oktober 1919 in Ostpreußen geboren. 1962 eröffnete sie in Flensburg den ersten Sexshop der Welt und expandierte später in sieben Länder. Uhse war zwei Mal verheiratet, ihre Söhne Klaus und Ulrich waren ebenfalls im Unternehmen tätig. Sie starb am 16. Juli 2001 in der Schweiz an einer Lungenentzündung. Die Digitalisierung setzte ihrem Unternehmen zu, im Juli 2019 wurde Insolvenz angemeldet. Der Online-Shop wurde von einer niederländischen Gruppe übernommen.
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