Wenn der Herbst der beste Maler ist, dann ist der Winter der beste Bildhauer. Denn wie heißt es so schön: Der größte Künstler ist die Natur, nur sie schafft es binnen kurzer Zeit ganze Landstriche in ein anderes Licht zu setzen, das Grün der Wiesen und Wälder mit Weiß zu bedecken und in graue Stadtteile romantische Winterstimmung zu zaubern. Schnee übt seit jeher eine faszinierende Anziehung auf den Menschen aus. Kein Wunder also, dass sich Künstler gerne mit Schnee beschäftigen, um ihm eine neue Bedeutung zu verleihen. Etwa in Wintersportorten, bei anspruchsvollen Kulturprojekten hoch oben am Gipfel, um das Bewusstsein von Schnee und Naturgewalten zu schärfen.
Künstler, die sich mit diesem weißen Zauber auseinandersetzen, verwenden Schnee gerne als Symbol für Botschaften in ihren Arbeiten. Manche stapfen Poesie in die Landschaft, wie der Brite Simon Beck, andere errichten utopische Monumente auf Gletschern, setzen historische „Eismeer-Bilder“ in aktuelle Bezüge oder rücken die bizarre Schönheit der Eisberge in ein neues Licht. Dabei ist die Schneeflocke alleine schon ein Kunstwerk für sich.
Das zeigte bereits 1885 der amerikanische Fotograf und Schneeforscher Wilson Bentley. Er entdeckte mittels seiner Mikrofotogramme, dass nicht nur jedes Eiskristall einzigartig ist, sondern auch unwiederbringlich verloren, wenn es einmal geschmolzen ist. Ähnlich ergeht es den riesigen Schneebildern von Simon Beck.
Simon Beck, setzt geometrische Muster Schritt für Schritt in den Schnee, wie in Riedfeld Valais in der Schweiz (Foto ganz oben)
Der Schneekünstler, Fotograf und Kartograf entdeckte zufällig beim Skifahren, dass Fußabdrücke im Schnee toll aussehen. Der Brite, der zur Zeit geometrische Muster durch das französische Skigebiet Les Arcs stapft, braucht etwa drei Stunden für eine fußballfeldgroße Fläche. Dabei überlegt er sich zuerst das Muster, dann marschiert er mit Karte, Kompass und Maßband los. Manchmal ein Wettlauf mit der Zeit. Denn es kann vorkommen, dass eine Pistenraupe seine Fußspuren am unteren Feldende planiert, während er das Muster oben am Hang noch fertig tritt. Doch weiße Hänge für seine Schneebilder gibt es heuer genug, denn auch in Frankreich haben die Lifte coronabedingt Pause – das postete der Schneekünstler kürzlich auf seiner Facebook-Seite, der – sobald reisen wieder möglich ist –, seine fraktalen Kunstwerke in Griechenland in Schnee stapfen möchte.
Kunst am Gipfel
Das Messner Mountain Museum ist einer der letzten Bauten der Stararchitektin Zaha Hadid. Das innovative Kunst-Museum wurde in den Berg gesprengt und soll dem Alpinismus im Skiort Kronplatz ein Denkmal setzen
Auch die Bedeutung von Eis und Schnee für Mensch und Klima ist Thema in der Kunst. So widmen sich Künstler von Olafur Eliasson bis Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl in ihren Arbeiten dem weißen Zauber. Und Reinhold Messner, Extrembergsteiger in Schnee und Eis, aber eben auch Kunstfreund, ließ 2015 auf 2.275 Meter, am Kronplatz, dem beliebten Wintersportort im Pustertal, das Messner Mountain Museum von Stararchitektin Zaha Hadid errichten. Das Gebäude ragt im Winter fast unsichtbar aus den Schneemassen hervor. Innen sind unzählige Kunstobjekte und Bilder untergebracht, die den Besuchern die Gefahren von Schnee und Eis näher bringen sollen.
Erst vor Kurzem wurde am Hochjochferner die Installation mit den 700 mundgeblasenen Glasplatten fertig. Olafur Eliasson will damit an diesem „Kraftort im Zeichen des Wassers“ Umweltbewusstsein schaffen
Ähnlichen Gedanken zugrunde liegt auch das atemberaubende Projekt des isländischen Künstlers Olafur Eliasson. Das Kunstwerk „Our Glacial Perspectives“ am Hochjochferner im Südtiroler Schnalstal wurde kürzlich fertig. „Hier oben ist ein Kraftplatz. Wasser und Eis sind unterschiedliche Aggregatzustände und ein unendlicher Kreislauf. Das Wasser trägt von hier oben eine Botschaft in die ganze Welt, bis dorthin, wo es nicht ist, denn Wasser ist Information“, sagt Ui Phoenix Kerbl. Der Salzburger rief gemeinsam mit Horst Rechelbacher, dem Gründer des Kosmetikunternehmens AVEDA, vor Jahren den Verein „Talking Water Society“ ins Leben, eine Plattform zur Reflexion über Wasser als unsere wertvollste Ressource. Und weil der Kraftplatz am Berggipfel künstlerisch umgesetzt werden sollte, fragte Ui Kerbl bei Olafur Eliasson nach. Denn auch der Isländer will mit seinen Arbeiten Wachsamkeit für die Natur erwecken. „Das Kunstwerk fungiert als Lupe, als optisches Gerät, das uns einlädt, uns mit planetarischen und eiszeitlichen Perspektiven auseinanderzusetzen“, sagt Eliasson. Errichtet wurde die Skulptur ohne Hubschraubereinsätze, umweltschonend, mit einer Behelfsstraße, die am Ende der Bauarbeiten wieder rückgebaut wurde.
Das Eismeer im Eiskasten
Das Originalbild: Caspar David Friedrichs „Eismeer“ von 1823 beschäftigt thematisch bis heute zahlreiche Künstler. Es hängt in der Hamburger Kunsthalle
„Spannend ist, dass das berühmte „Eismeer“ von Caspar David Friedrich wie eine Abstraktion wirkt und eigentlich den Titel hatte: Gescheiterte Hoffnung“, erzählt das Künstler-Duo Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl, die in ihrer aktuellen Ausstellung im Kunsthaus Bregenz das Gemälde nachstellten.
Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl inszenierten Caspar David Friedrichs „Eismeer“ für die aktuelle Ausstellung im Bregenzer
Kunsthaus nach. Die raue Eisscholle wird zum Sofa, das in die Heimeligkeit kippt, als Symbol für ein neues Biedermeier
„Jetzt in diesen schwierigen Zeiten poppen neue Utopien auf. Wir verbinden damit, wie das Eisige, in Form des Sofas auf der Eisscholle, in unsere Wohnzimmer kommt, und der Klimawandel voranschreitet“, so Knebl.
Mathias Kesslers Eismeer kam in Bregenz gemeinsam mit einer Flasche Bier aus dem Eiskasten, als Landschaft aus dem 3D-Drucker. Das Rendering des Vorarlbergers zeigt Casper David Friedrichs Gemälde. Es soll an die gescheiterten Expeditionen von 1900 erinnern
Auch der österreichische Künstler Matthias Kessler beschäftigt sich mit dem Klimawandel. In seinen imposanten Fotografien zeigt er das Ewige Eis in einem oft bedrohlichen Licht und macht damit auf die Vergänglichkeit aufmerksam. Doch in seiner Installation für das Bregenzer Künstlerhaus kam das berühmte „Eismeer“ direkt aus dem Eiskasten. Wenn Besucher den Schrank öffneten, um sich ein Bier zu nehmen, bekamen sie das Gemälde im Kühlfach in Form einer 3D-Eislandschaft zu sehen. Kessler wollte die Besucher bei geselligem Biertrinken auffordern, über die Themen der Welt zu diskutieren. Das Eismeer wurde zur gemeinsamen Skulptur, die Hoffnung gibt.
Benedikt Partenheimers Fotoedition aus der Serie Memorie, Methan-Experimente in Alaska, ist aktuell in der Ausstellung „Nach uns die Sintflut“ im Wiener Kunst Haus, zu sehen, https://www.kunsthauswien.com
Kommentare