Palast der Wünsche

Das GUM am Roten Platz, gegenüber von Kreml und Lenin-Mausoleum schon vorweihnachtlich geschmückt.
Mehr als ein Einkaufszentrum: Das GUM im Herzen Moskaus, direkt am Roten Platz. Vor 120 Jahren als Kaufhaus der Superlative gebaut, blickt es auf eine bewegte Geschichte zurück – und einer glänzenden Zukunft entgegen.

Etwas gibt es heute, was zu Sowjetzeiten nie möglich war. Man kann vor dem GUM sitzen, Kaffee trinken oder Spaghetti essen – und gelassen auf das Mausoleum und den Kreml schauen. Im Rücken des hier Speisenden erhebt sich der Eisen-Glas-Palast mit seinen typischen Jugendstil-Bögen, der Generationen von Bewohnern der russischen Hauptstadt wichtiger war als das Machtzentrum gegenüber.

Das GUM hat eine lange Geschichte und hat in vielen Filmen und Romanen immer wieder eine gewichtige Rolle gespielt. Weil es dem Kreml genau gegenüber liegt, weil es den berühmten „schönen“ – oder „roten“ – Platz einzäunt, weil es eins der Symbole Moskaus ist.

Einst – vor 120 Jahren – hat man es gebaut, um jene Reihen von Holzstandln zu ersetzen, in denen bis dahin direkt gegenüber dem Zarenpalast Handel betrieben wurde. So sind auch die inzwischen berühmt gewordenen „drei Reihen“ entstanden, die das GUM der Länge nach teilen. Das oberste Stockwerk des Glaspalastes war zu Sowjetzeiten für Normalsterbliche tabu. Hier saßen die Meister der Schneider- und Schusterkunst – und arbeiteten für die sogenannte Nomenklatura. Hinter fest verschlossenen Türen. Damit das „Volk“ nicht sah, wie viel gleicher jene waren, die über Wohl und Wehe eben dieses „Volkes“ entschieden.

Eine Episode aus jener Zeit hat mir einer der Schuster erzählt. Damals, vor 20 Jahren, als das neue Russland mit viel Pomp den 100. Geburtstag des GUM beging – und die Werkstätten im dritten und letzten Stock nicht mehr ganz so geheim waren.

Er habe als junger Schuster einmal Schuhe für die Frau des sowjetischen Langzeit­außenministers Gromyko nähen müssen. Fünf Paar habe diese bei ihm bestellt aber nur eines dann auch wirklich genommen. Sie habe eben „schwierige Füße“ gehabt, sagte er ein bisschen resigniert und ein bisschen ironisch. Nebenan – ebenfalls versteckt im dritten Stock – waren wohl jene Herrenanzüge aus schwerem, nadelgestreiftem Wollstoff entstanden, die die Mächtigen des Sowjetreiches stets zu tragen pflegten.

Heute gibt es weder die Schusterwerkstatt noch die Schneiderei. Und in den dritten Stock des GUM, wo ebenso, wie in allen anderen Stockwerken westliche Markengeschäfte ihre Ware anbieten, führt jetzt eine in diesem architektonischen Meisterwerk gelinde gesagt merkwürdig anmutende Rolltreppe. An der dem Kreml entgegengesetzten Längsseite des GUM findet sich wiederum etwas, was nur gelernten Sowjetbürgern das entsprechende Lächeln entlockt. Das sogenannte „Gastronom Nummer 1“ – also ein Lebensmittelgeschäft mit sowjetischem Namen, das aber sonst so gar nichts mit jenen „Gastronomen“ gemein hat, in denen man höchstens Fischkonserven, Salzgurken und vertrockneten Käse kaufen konnte – wenn es überhaupt etwas zu kaufen gab. Auch im GUM herrschte zu Sowjetzeiten Mangel an vielem. In diesem „Gastronom Nummer 1“ gibt es heute alles an Lebensmitteln, was das Herz begehrt – und mehr. Denn sämtliche Spezialitäten aus aller Welt, und seien sie noch so „speziell“, sind hier wunderschön und appetitlich ausgestellt und zu Preisen zu erwerben, die selbst Besserverdienern den kalten Schweiß auf die Stirn treibt.

Eine Erinnerung aus den 1960er-Jahren. Wir spazierten durch das GUM und sahen, was es zu kaufen gab: Büstenhalter in so unglaublicher Übergröße, dass man sie für Hängematten halten konnte, Regenschirme – schwarz mit braunem Griff, Farbenfrohe Wolltücher. Mehr war da nicht. Doch, das berühmte russische Milcheis, das man hier einfach essen musste, gab es auch noch. Man ging damals ins GUM nicht um einzukaufen, sondern um seine Architektur zu bewundern und sich am berühmten Springbrunnen genau in der Mitte zu verabreden. Das tut man bis heute.

Vor zwanzig Jahren hatten noch nicht sämtliche westlichen Marken das GUM voll und ganz übernommen. Damals gab es noch das eine oder andere sowjetische Geschäft. Es herrschte eine gewisse Unsicherheit darüber, was aus dem GUM werden sollte – wobei das Gebäude längst unter Denkmalschutz steht. Aber was im Inneren so vor sich ging oder gehen sollte, darüber wurde noch heftig diskutiert. Und derweil verkaufte man – Souvenirs, die es auch heute massenweise gibt. Also die berühmten, Matrjoschka genannten, russischen Puppen, Holzlöffel und Holzschalen und vieles dieser Art mehr. Konfekt aus dieser ganz besonderen, dunklen Schokolade, wie es nur in Russland hergestellt wird, Tee und Wodka und Leinen. Russisches Leinen ist bis heute berühmt – und immer noch um einiges billiger, als im Westen.

Leinen also. Tisch-, Hand-, Geschirrtücher, etwas steife Blusen, Hemden, Hosen und Kleider, viele mit komplizierten, handgefassten Spitzenmustern. Und inmitten dieser Leinenpracht residierte damals, vor zwanzig Jahren, eine dicke, sehr sowjetische Verkäuferin mit kurzem, rot gefärbtem Haar, die ihre Ware anpries, als habe sie nicht noch wenige Jahre zuvor die Käufer wie lästige Bittsteller behandelt. Wie das eben so üblich war, im Bereich des sogenannten „Gostorgovlja“, also des staatlichen Handels. Und als ich damals nach ihren schönen, leinenen Tischtüchern griff und sie ob ihrer Qualität lobte, sagte sie mit leichter Resignation in der Stimme: Leinen sei eben – Leinen.

Was sich durchaus auch vom GUM sagen lässt, das durch alle geschichtlichen Fährnisse hindurch doch immer eben genau das geblieben ist: „Das GUM“ – nicht mehr und nicht weniger.

www.gum.ru

Kommentare