Behutsam lässt er die Marzipanfiguren ins Sackerl gleiten, dann dieses zweimal umschlagen und vorsichtig mit einem Etikett verschließen. Und wieder von Neuem. Geduldig verrichtet Sepp Knoflach seine Arbeit in der Backstube. Früher sei er natürlich etwas schneller gewesen, erzählt er. Aber auf das Tempo kommt es ja nicht an.
Jedes Jahr hilft der 100-Jährige seinem Enkel Michael Stuller, Chef der Wiener K.u.K. Hofzuckerbäckerei Heiner, beim Verpacken der filigranen Tierfiguren: "Zuerst gilt es erst einmal den Schock zu überwinden, hunderte Marzipan-Figuren auf einmal zu sehen, die alle verpackt werden müssen und nicht beschädigt werden dürfen. Gott sei Dank habe ich heute noch ruhige Hände. Man braucht Konzentration, weil jeder Handgriff passen muss."
Unglaubliche 70 bis 80 Stück schafft der Pensionist heute noch in der Stunde – seine Fingerfertigkeit erprobte er erstmals im Alter von 75 Jahren. "Damals wurde die ganze Familie zusammengetrommelt, um 10.000 Schweinchen zu verpacken." Das Arbeiten im Team gefiel dem Pensionisten so sehr, dass er seitdem jedes Jahr acht Arten von Marzipanschweinen, ein paar Goldfische, Fliegenpilze sowie Rauchfangkehrer verpackt.
Süßes Medikament: Einst gab es Marzipan in der Apotheke
Die Zeit zwischen Weihnachten und Silvester ist laut Firmenchef die stressigste Zeit im Jahr, weil in besonders kurzer Zeit die klebrig-süße Saisonware hergestellt werden muss. Der Marzipan-Verbrauch beträgt beachtliche 3,5 Tonnen pro Jahr – unterm Jahr verkauft die Wiener Konditorei nämlich erstaunlich viel von Obst wie Zitronen und Zwetschken aus Marzipan.
Die Herstellung der Glücksschweine lässt sich bis in die Zwischenkriegszeit zurückverfolgen. Zu jener Zeit wurde das Marzipan sogar noch selbst aus geriebenen Mandeln hergestellt – heute kommt die Rohmasse aus dem deutschen Lübeck.
Die norddeutsche Stadt rühmt sich neben Königsberg mit der Erfindung der cremefarbigen Mandel-Zucker-Masse, allerdings dürfte der Ursprung eher im Orient liegen. Mit den Arabern kam die Süßspeise aus geschälten und blanchierten Mandeln vermutlich über Spanien nach Europa – noch heute ist die spanische Stadt Toledo bekannt für die Herstellung.
Die erste europäische Erwähnung von Marzipan stammt aus Venedig, im 14. Jahrhundert verschrieben Apotheken die Süßigkeit gegen Blähungen. Durch die Industrialisierung der Rübenzuckerproduktion wurde die Süßigkeit wie generell Mehlspeisen oder Zuckerln für das Bürgertum erschwinglich. In Estland und Lübeck eröffneten im Jahr 1806 die ersten Manufakturen.
Üppiges Mitbringsel: Wie viel ein Schweinchen auf die Waage bringt
In traditionellen deutschen Manufakturen wird die gewonnene Mandelmasse über offenem Feuer in Röstkesseln erhitzt, um die typischen Aromen zu erhalten.
Wie soll Marzipan schmecken? "Frisch nach Mandeln, nicht zu süß sowie weich und saftig, aber nicht zu mürbe", meint Heiner-Chef Stuller. Laut Österreichischem Lebensmittelbuch muss Rohmarzipan einen Mindestgehalt von Mandelöl (aus den verarbeiteten Mandeln stammend) von 28 Prozent und darf nur einen Höchstgehalt von 35 Prozent Zucker und 17 Prozent Wasser haben.
Übrigens handelt es sich bei dem beliebten Mitbringsel zu Silvester um eine hochkalorische Angelegenheit: Einhundert Gramm schlagen sich mit 486 Kilokalorien zu Buche – ein großes Schwein wiegt 70 Gramm.
Vor zwei Jahren schaffte die Konditorei die fertigen Formen für Figuren ab, bis dahin wurden sie gepresst. "Seitdem machen wir sie in reiner Handarbeit. Dadurch sehen die Figuren lieblicher und zeitgemäßer aus."
Alleine für die Kreation des kugeligen Glücksschweins, das wie aus einem Zeichentrickfilm aussieht, sind zahlreiche Arbeitsschritte notwendig: Zuerst werden lange Rollen zurecht geschnitten und abgewogen, dann mit Schneidemaschine erneut portioniert und Kugeln für die Füße geformt. Die gleichen Arbeitsschritte, aber mit anderen Gewichtsangaben, werden für Kopf und Nase wiederholt.
Beim Besuch in der Produktionsstätte nahe des Zentralfriedhofs erzählen die Mitarbeiter, dass sie die Handarbeit gegen Jahresende als willkommene Abwechslung sehen. Nach dem Formen ritzen sie Augen, Augenbrauen, Nasenlöcher und Mund mit Holzstaberln ein. Zu guter Letzt formen sie die Ohren und drapieren ein Kleeblatt neben dem Rüssel.
Dann kommen die Figuren zu Herrn Knoflach ins hintere Kammerl, falls er zugegen ist. "Für mich war das Verpacken vor 25 Jahren eine völlig neue Tätigkeit. Mit den Jahren konnte ich meine Fingerfertigkeit bewahren und sogar verbessern." Nascht er überhaupt gerne? "Ja! Und manchmal bekomme ich auch ein Marzipan-Schweinchen mit nach Hause."
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