Tränen für Yves

Glücklich war er nur während der Arbeit. Selbst auf dem Laufsteg zu erscheinen, war für Yves Saint Laurent eine Tortur. Erinnerungen an einen genialen Modeschöpfer.

Er war der Erste. Vor genau 32 Jahren trat er in mein Leben. Zufällig. Schüchtern. Überwältigend. Es war Ende März 1982. Auf der Suche nach den legendären Modeschauen irrte ich durch Paris. In Wien hatte mir niemand sagen können, wo sie stattfanden. Internet? Googeln? Gab’s ja noch nicht. An der Porte Maillot fand ich sie: Prêt-à-Porter stand über dem Hallenkonglomerat. Mit dem Presseausweis gelangte ich hinein – und war entsetzt. Messestand reihte sich an Messestand. Das sollte „meine“ Prêt-à-Porter sein? Unmöglich. Aber da stand doch tatsächlich „Christian Dior“ auf einem Stand. Also doch? Auf meine vorsichtige Frage nach der Modeschau fing die anwesende Dame zu lachen an. Und schickte mich zur Place de la Concorde. Dort, am Beginn des Jardin des Tuileries, seien Zelte für die Modeschauen aufgestellt. Hinein käme man allerdings nur mit einer persönlichen Einladung. Merci und nichts wie hin …
Und es gelang! Ob Zufall oder eher göttliche Vorsehung, irgendwie schwindelten Fotograf Kristian Bissuti und ich uns in besagtes Zelt. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Gleich der erste Modeschöpfer, dessen neue Kollektion ich zu sehen bekommen würde, war der beste von allen: Yves Saint Laurent. Gebannt starrte ich auf den langen, kahlen, damals noch hohen Laufsteg, auf beiden Seiten von einer Fotografenmeute bedrängt. Dann das erste Model im folkloristischen Look. Mit kariertem, weitem Rock, kurzer Jacke, dazu Stiefel, Kopftuch und Hut. Was für ein Unterschied zu den Modeschauen in Wien. Hier ging es nicht um eine irgendwie zusammengewürfelte Verkaufsschau. Hier ging es um eine Kollektion, um Zeitgeist, Vision und Modephilosophie. Und die Materialien, die Schnitte, das Styling, alles von einer solchen Perfektion, dass mir der Atem stockte. Und dann kam ER auf den Laufsteg. Yves Saint Laurent. So widerstrebend, so scheu, so schüchtern, so verlegen, fast peinlich berührt vom Applaus. Was für ein sensibler Künstler. Ich war überwältigt und wischte mir verstohlen die Tränen aus den Augen.

Es folgten 20 Jahre, in denen mich seine Couture- und Prêt-à-Porter-Kollektionen immer noch mehr begeisterten. Großartig, ihn in seinem Atelier in der Avenue Marceau im weißen Mantel bei der Arbeit beobachten zu können. An der Wand ein Spruch von Marcel Proust, seinem Lieblingsdichter: „Die erhabene und bedauernswerte Familie der übersensiblen Menschen ist das Salz der Erde.“ 46 Jahre war Saint Laurent und bereits fast 30 Jahre im Geschäft, als wir einander kennenlernten. 1954 gewann er mit dem Entwurf eines Cocktailkleides den renommierten Wettbewerb des Internationalen Wollsekretariats, wurde danach gleich von Christian Dior engagiert. Als dieser 1957 starb, wurde der 21-Jährige Yves sein Nachfolger. Die Zeitungen überschlugen sich vor Lobeshymnen, nannten ihn den Retter von Paris. Dann kam 1960 die Einberufung zum Militär und riss ihn aus seinem Höhenflug. Eine ähnliche Tortur wie seinerzeit in der Schule begann. Schon damals war er wegen seiner Homosexualität gehänselt, gequält und verprügelt worden. Seine Mutter wollte das offenbar nicht wahrhaben. Saint Laurent: „Sie hat mich nie beschützt.“ Ohne Zweifel sind vor allem in dieser Zeit die Wurzeln für Saint Laurents Gesundheitszustand zu suchen. Wegen seiner Depressionen kam er ins Militärspital. „Es war der reinste Horror“, schilderte es viele Jahre später. „Ich wog schließlich nur mehr 35 Kilogramm und hatte Gehirnfunktionsstörungen. Der Arzt gab mir die höchstmögliche Dosis an Beruhigungsmitteln. Er sagte es mir damals schon, dass ich wieder auf diese Mittel zurückgreifen werde. Und so war es auch.“ Drogen und Alkohol begleiteten seinen Weg.

Nach einer Erholungsphase entschließt er sich 1962 mit seinem Freund, Pierre Bergé, ein eigenes Modehaus zu eröffnen. Auf die Einzelanfertigungen der Haute Couture ließ er bald die von Pierre Cardin begründete, preiswertere Prêt-à-Porter folgen. Hatte sich bis dahin noch nie ein Couturier am linken Seine-Ufer sehen lassen, so wählte Saint Laurent genau diese Umgebung für seine erste Boutique. Dort, wo die Studenten der Sorbonne einkauften, wo die Kellertheater von Saint-Germain zum Besuch einluden, eröffnete er in einem ehemaligen Bäckerladen ein Geschäft für seine Konfektionsmode genannt „Saint Laurent Rive Gauche“.

Es sollte nicht die einzige zukunftsweisende Idee bleiben. Yves Saint Laurent hatte ein unglaubliches Gespür dafür, was modisch in der Luft lag und brachte es als Erster auf den Laufsteg. Die französische Schriftstellerin Marguerite Duras drückte das wunderbar so aus: „Wenn auf einer Modeschau ein Kleid von Saint Laurent zu sehen ist, dann schreit man auf vor Glück, weil das Kleid, das man sich nie vorgestellt hatte, genau dasjenige war, worauf man wartete.“ Oder Lebensgefährte Pierre Bergé: „Chanel hat den Frauen Freiheit gegeben, Yves Saint Laurent gab ihnen Macht.“

1966 setzte er sich über das „Hosenverbot“ für Frauen hinweg und brachte den ersten Damensmoking auf den Laufsteg. 1968 schockte er mit Transparentlook. Saint Laurent: „Ich wurde mir plötzlich des weiblichen Körpers bewusst, begann mit der modernen Frau zu dialogisieren und zu begreifen, was eine moderne Frau ist.“ 1971 entdeckte er den Nadelstreif für Damen. Im gleichen Jahr versetzte er die Modewelt mit der Werbung für sein erstes Herrenparfüm in Schockstarre. Dafür posierte er höchstpersönlich nur mit einer Hornbrille bekleidet auf drei Lederpölstern sitzend. Das coole Foto von Jeanloup Sieff schrieb Werbegeschichte, Pour Homme wurde zum Welterfolg. Und immer wieder begeisterte sein unglaubliches Farbfeingefühl. Was bis zu diesem Zeitpunkt aus geschmacklichen Gründen verboten war, machte Saint Laurent begehrenswert: Blau und Grün, Rot und Pink, Rot und Orange. Lange bevor Colour-Blocking ein Hit wurde, zelebrierte er es in seinen grandiosen Kollektionen. Für all diese wegweisende Arbeit wurde er weltweit geliebt, verehrt und bejubelt, nachempfunden und oft brutal kopiert. Doch nach jeder noch so gefeierten Kollektion hatte ich den Eindruck, als würde er dadurch noch scheuer, noch furchtsamer, noch kränker.

1990 führten die Mittel, die Depressionen und Ängste bekämpfen sollten, zum totalen Zusammenbruch. Statt seine Kollektion zu präsentieren, musste Saint Laurent ins Krankenhaus. Nach wenigen Wochen arbeitet er bereits wieder für die Haute-Couture-Schau. Sein Argument: „Das Einzige, was mich retten kann, ist meine Arbeit.“

Wie immer kam Saint Laurent nach der Präsentation auf den Laufsteg. Wie immer nicht ganz freiwillig, sondern von Pierre Bergé dazu „überredet“. Mit Entsetzen stellte ich die Veränderungen fest, die mit dem 54-Jährigen vor sich gegangen war. Das gleiche Bild auch nach der Prêt-à-Porter-Schau im Oktober: schwankend, wie geistesabwesend taumelte der Modeschöpfer durch das Spalier seiner Models an das Ende des Laufstegs, wankte bei der Verbeugung und musste auf dem Weg zurück von den Mädchen gestützt werden. Hinter der Bühne dann die Fortsetzung des Jammers. Glücklich wie ein Kind, das nicht weiß, was da passiert, ließ sich Saint Laurent küssen und feiern, lallte Unverständliches in eine Fernsehkamera und sah die Tränen nicht, die in den Augen seiner erschütterten Fans standen. Auch in meinen. „Das war sicher das letzte Mal, dass wir Yves gesehen haben“, dachte ich, als er das Zelt verließ und in sein wartendes Auto stieg.

Zehn Jahre waren ihm noch vergönnt. 1999 wird das Modehaus an François Pinault verkauft. 2002 gibt Yves Saint Laurent mit steinerner Miene seinen Rücktritt und die Schließung der Haute-Couture-Linie bekannt. Zum Weinen. Noch trauriger: 2008 stirbt Yves Saint Laurent an Gehirntumor. Bei den Couture-Schauen im Jänner entdecke ich in Paris ein Plakat, dass für den Film „Yves Saint Laurent“ wirbt. Obwohl meine Französisch-Kenntnisse nicht berauschend sind, schaue ich ihn mir sofort an. Richtig: Vor lauter schönen Erinnerungen gingen meine Augen über. Yves Darsteller Pierre Niney ist brillant, hat sich vieles vom echten Saint Laurent abgeschaut. Allein schon wie er sich die Brille auf der Nase zurecht schiebt. Dass Pierre Bergé noch lebt und mitreden durfte, merkt man der Story an. Er kommt viel zu gut weg ...


Ab 18. April ist der Film bei uns im Kino.

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